Ist die Marketing-Gesellschaft der Preis für die Wissens-Gesellschaft?

Google, Facebook, Apple und Co – diese „jungen“ Firmen aus dem Informatik-Bereich repräsentieren Elemente der Wissensgesellschaft. Die Suche nach der berühmten (Wissenshäppchen-)Stecknadel im (Wissen- und Daten-)Heuhaufen, die virtuelle Vernetzung im KollegInnen-Kreis, technische Gadgets wie iPhone oder iPad, die auch für den DAU resp. den/die DAB (durchschnittlich anzunehmender User, durchschnittlich anzunehmendeR BenutzerIn) taugt sind Errungenschaften, die von grosser Relevanz sind. Da es bekanntlich nichts gratis gibt, nicht einmal das Internet, haben diese Errungenschaften eine Kehrseite respektive einen Preis.

Wer Internet-Seiten besucht, findet immer auch bezahlte Links, meist passend zum Suchbegriff. Da die Suchalgorithmen von Google geheim sind – es handelt sich dabei um einen wesentlichen Bestandteil des geistigen Eigentums von Google, ist nicht auszuschliessen, dass manipulative Eingriffe stattfinden. Die Diskussionen um die Google-Präsenz in China haben erkennen lassen, dass erhebliche Eingriffsmöglichkeiten bestehen: von wem auch immer als heikle Suchbegriffe deklarierte Inhalte können nicht gefunden werden. Von wem auch immer als „feindliche Seiten“ deklarierte Internet-Angebote erscheinen nicht auf den ersten ein bis zwei Seiten der Fundstellen – die Erfahrung zeigt, dass in der Regel nur die Topten-Fundstellen-Seiten überhaupt angeklickt werden – siehe dazu auch mein Beitrag Demokratie braucht Informationsqualität.

Auch bei Facebook und anderen sozialen Netzen haben Werbelinks eine wichtige Bedeutung. Denn analog zur Parallelität von Suchbegriffen und damit verbundenen Gütern und Dienstleistungen ist eine recht präzise Zielgruppen-Orientierung der Werbeeinspielungen möglich, unter anderem dank den „Freunde“- und Favoriten-Links. Oder anders: je mehr „persönliche“ Infos die Facebook-NutzerInnen einspeisen, desto wertvoller wird Facebook als Marketingplattform.

Die Apple-Gadgets iPhone und iPad konstrastieren auffällig zu diversen anderen Hardwareangeboten. Dies hat sehr viel mit der Ausrichtung auf DAU/DAB zu nutzen (wobei die latente Tendenz besteht, dies vermehr als „dümmst anzunehmender User“ zu verstehen). Durch das geschlossene Hard- und Software-Imperium – nur von Apple genehmigte Produkte können im App-Store angeboten werden – kann sichergestellt werden, dass alle Produkte tatsächlich genutzt werden können (was noch nicht heisst, dass diese Produkte exakt dies tun, was die DAUs möchten). Mehr als diskussionswürdig ist die Absicht von Apple, zukünftig exklusiv die Medieninhalte verkaufen zu wollen (siehe zum Beispiel NZZ vom 24.1.2011), die auf den Apple-Gadets angezeigt werden können. Apple gehört auch wegen dieses Geschäftsmodell zu den drei wertvollsten Unternehmen der Welt!

Nun ist es durchaus legitim, auch mit Hard- und Software respektive deren Nutzung Geld zu verdienen.

Andererseits ist zum Teil damit verbunden, zum Teil aus anderen Gründen, ein erheblicher Struktur-, Werte- und Kulturwandel feststellbar.

Ein Aspekt heisst „gratis“, zum Beispiel Gratiszeitungen. Es ist bestens bekannt, dass es „gratis“ nicht wirklich gibt – auch Altruismus hat Grenzen, wenn es um die ganze simple physische Existenz – Essen, ein Dach über dem Kopf, Gesundheit – geht. Auch Gratiszeitungen kosten. Bezahlt werden diese Kosten einerseits durch Werbung, andererseits durch eine Reduktion der Verteilkosten, aber auch durch weniger intensive Inhalte. Agenturmeldungen dominieren, „Sex and Crime“ hat ein grösseres Gewicht als Politik und Wissensvermittlung – Fun und Unterhaltung steht im Vordergrund. Die Meinungsbildung, wesentlicher Teil der klassischen Medien, wird stark reduziert und äusserst sich am ehesten noch in der Auswahl der Themen und der berücksichtigen Agenturen.

Eine weitere Facette von „gratis“ ist die Demokratisierung der Meinungsbildung zum Beispiel in Internet-Blogs. Zu typischen Hobby-Kosten kann jede und jeder im Internet präsent sein. Rein von den Inhalten her ist dies nicht kritisch – fachkompetente Kommentare sind meist zielführender als Kommentare unter journalistischen Gesichtspunkten. Nur: wie stellen die LeserInnen fest, dass die kommentierende Person fachkompetent ist und tatsächlich relevante Beiträge erbringt?

Blogtools – oder Content Management Systems – wie WordPress, Joomla und viele weitere sind regelmässig auch als „free and open data source“ erhältlich. Free and open – das ist bestens, da steckt allerdings viel freiwillige Arbeit drin. Immer wieder findet man Hinweise auf finanzielle Unterstützung – wenigstens kleine Beiträge, etwa via Pay Pal, Flattr oder als Spenden an Buchbeiträge. Das heisst: wenn solche „free and open data source“ eine Zukunft haben sollen, braucht es dafür existenzsichernde Elemente, etwa ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle.

Dazu gehört auch Wikipedia mit der zugehörigen Software MediaWiki – der Mittelbedarf von jährlich gegen 20 Mio USD wird mit regelmässigen Spendenaktionen abgedeckt (P.S. Google ist dabei regelmässig der grösste Einzelspender).

Auch wenn Papierprodukte wie Zeitungen, Zeitschriften, aber auch Bücher traditionell die Transportgefässe für intellektuelle Inhalte sind, ist auch dies mit hoher Wahrscheinlichkeit einen starken Strukturwandel unterworfen. Die Menschheit muss sich mit hoher Wahrscheinlichkeit darauf einstellen, bisherige Printprodukte zukünftig ausschliesslich auf elektronischen Medien aller Art zu lesen respektive anzuschauen. Es ist durchaus davon auszugehen, dass lange Traditionen wie Zeitungs- und Zeitschriftenkioske, Buchhandlungen oder auch private und öffentliche Bibliotheken sehr rasch an Bedeutung verlieren werden. Es ist sicher so, dass das Lesen eines Krimis aus einem Buch ein anderes Erlebnis ist als das Lesen des gleichen Krimis auf einem Bildschirm eines Tablet-Computers. Aus eigener Erfahrung: man gewöhnt sich erstaunlich schnell daran. Es ist mir schon passiert, dass ich zum Blättern den Tablet-Computer umdrehen wollte 🙂

Im Moment ist die Wissens-Gesellschaft marketing-dominiert. Die Technologie- und Infrastruktur-Anbieter haben das Sagen – die Wissens- AnbieterInnen und -NachfragerInnen müssen das nehmen, was ihnen geboten wird. Tendenziell war dies auch bei den gedruckten Medien so. Damit das zukünftige Wissensmanagement demokratisch geprägt ist, müssen die Wissens-AnbieterInnen und -NachfragerInnen sich lauter und deutlicher zu Wort melden. Offene Standards und freier Zugang aller AkteurInnen sind zentrale Forderungen. Als ein Beispiel: jede und jeder kann per Computer das digitale Buchformat EPUB produzieren – es muss möglich sein, dass EPUB ohne Einschränkungen auf jedem Gerät dargestellt werden kann.


P.S. Nicht vergessen werden darf: Wissen ist Macht – im Moment läuft die Gesellschaft Gefahr, dass allein schon die Wissens-Infrastruktur zum Machtfaktor wird!