Ich pendle, also bin ich – es braucht ein neues Verkehrsverständnis!

Die Benutzung des Autos und des öffentlichen Verkehrs in der Schweiz sollen teurer werden – so hat dies der Bundesrat am 20. Januar 2011 vorgeschlagen. Die Stammtischforen in den Online-Medien hatten Hochbetrieb – so sind etwa beim Auto-Anzeiger (früher Tagesanzeiger) innerhalb von 28 Stunden über 600 Stammtischklopfer, maximal 400 Zeichen lang, eingetragen worden. Ein Thema, welches die SchweizerInnen bewegt. Erstaunlich viele Menschen definieren sich in diesem Land über die Möglichkeit, täglich zu pendeln. Ein neuer Zugang zum Verkehr ist angesagt!

Gegen 100 Minuten pro Tag ist die durchschnittliche Schweizerin, der durchschnittliche Schweizer unterwegs und legt dabei fast 40 km zurück. P.S. Diese Angaben gelten für Personen, die älter als 10 Jahre sind. Rund die Hälfte der Reisezeit wird für Freizeitzwecke benötigt, nur etwas mehr als ein Fünftel der Unterwegszeit wird für Arbeit und Ausbildung (das wäre also etwa das Pendeln) benötigt – fast 70 % der durchschnittlichen Tages-Unterwegsdistanz wird mit dem Auto zurückgelegt.

Bereits zwölf Mal – bald 13 mal – wird auf umweltnetz.ch auf das Zitat “Um die Mobilität sicherzustellen, braucht es weniger Verkehr” des Dresdner Verkehrsökologen Udo J. Becker hingewiesen. Dazu gehört zuerst die Verminderung der erzwungenen Mobilität, inklusive Pendeln. So ist es in der Schweiz gesellschaftlich erwünscht, dass die Menschen intensiv an ihren Wohnort gebunden sind – es wird dem Job nachgependelt und nicht in Richtung des Joborts gezügelt! Dabei ist klar: Verkehr meiden/verhindern ist immer selbst dem etwas ökologischeren öffentlichen Verkehr vorzuziehen, denn auch der öffentliche Verkehr ist in der heutigen Form alles andere als 2000-Watt-Gesellschaft-kompatibel! Die Vorbehalte gegen den MIEV – sorry MIV (motorisierter Individualverkehr) beziehen sich insbesondere auf dessen Zukunftsfähigkeit.

Auf jeden Fall: das Lob des kleinen Alltagsradius gilt uneingeschränkt!

Obwohl längst klar ist, dass immer noch mehr Verkehrsinfrastruktur zu noch mehr Verkehr führt, will der Bundesrat einen Teil der zusätzlichen Mittel aus der Verteuerung der Verkehrskosten für weitere Ausbauten der Verkehrsinfrastruktur verwenden. Dabei ist klar: kleinere Verkehrsflächen führen zu weniger Verkehr! Und dies, obwohl längst bekannt ist, dass insbesondere der Strassenverkehr die von ihm verursachten Kosten nicht bezahlt, sondern der Allgemeinheit überträgt. Die vom Bundesrat vorgeschlagenen Massnahmen sind somit absolut ungenügend – einmal mehr gibt es keine zusammenhängende Politikstrategie dahinter – der Verkehr soll ein bisschen teurer aber auch deutlich mehr werden!

Abgesichts des übermässigen Beitrags der Schweiz zum Mensch gemachten Klimawandel ist dringendes Handeln angesagt!


Nachtrag 25.1.2011

Die Arbeitswelt verändert sich, pendeln gehört dazu“ – „Was sie [Frau Leuthard] sagt, ist realitätsfern“ – die Schlagzeilen illustrieren die Emotionalität dieses Themas in Gesellschaft und Politik. „Gouverner, c’est prévoir“ – Regieren heisst Vorhersehen – sagt das Sprichwort. Dies hat Frau Bundesrätin Doris Leuthard getan – jetzt müssen die Regierten nur noch den Lernturbo einschalten! Aber vielleicht sind ja sehr emotionale Reaktionen ein Zeichen für diesen beginnenden Lernprozess.

Erste Fassung 23.1.2011