Glocken – süsser Klang – Lärm

Tradition versus Lärmschutz: der Gossauer Glockenstreit ist zwar bloss eine Episode, aber letztlich geht es um die Frage, wie es gelingt, in einer 7×24-Stunden-Gesellschaft den nachweislich gesundheitsschädlichen Lärm zu begrenzen. Ist die Tradition des viertelstündlichen nächtlichen Glockenschlags um jeden Preis beizubehalten?

Nicht nur im Schlaf sind Menschen sehr unterschiedlich: ich kenne Menschen, die, sobald sie nach ihrem Tagwerk ins Bett gesunken sind, blitzartig in tiefen Schlaf versinken – und erst nach langer Nachtruhe und mit vielerlei Weckinstrumenten aus diesem Schlaf erwachen. Auf der anderen Seite gibt es Menschen, die einen etwas leichteren Schlaf haben, selbst mitten in der Nacht beim zweiten Telefonklingeln des ungebührlichen Anrufers den Hörer zur Hand haben und gut erholt und ausgeruht tönend Antwort geben.

Glocken, Kirchenglocken, gehören in unseren Kulturraum, sind auch durch die positive Religionsfreiheit gesellschaftlich akzeptiert. Ein mehrstimmiges Geläute einer Kirche, auch von mehreren Kirchen zusammen, gefällt mir persönlich auch vom akustischen Erlebnis her, selbst dann, wenn ich in unmittelbarer Nähe meine Ohren vor diesem physikalisch betrachtet übermässigen Lärm schützen muss.

Glocken, auch der viertelstündige Glockenschlag, tönen laut, gerade in den eher leisen frühen Morgenstunden, selbst in einiger Distanz zum Kirchturm. Der viertelstündige Glockenschlag ist kein kirchliches Geläute, sondern ein zivilgesellschaftliches Angebot – erfunden zu einer Zeit, wo Uhren in diversen Formen noch nicht alltäglich waren. Bei allem Verständnis für Tradition: schon sehr lange ist der Zeitpunkt gekommen, um die zivilgesellschaftliche „Bestellung“ ausschliesslich des viertelstündlichen Nachtstundenschlags neu zu erörtern – und dabei speziell auf jene Rücksicht zu nehmen, die in unmittelbarer Nähe der Lärmquelle traditioneller Viertelstundenschlag leben. Interessant etwa: bereits 1908 hat die Stadt Zürich eine Läuteordnung geschaffen, in welcher die Details der bürgerlichen und kirchlichen Geläute geregelt wurden – der Viertelstundenschlag ist nicht einmal erwähnt!

Die evangelisch-reformierte Landeskirche des Kantons Zürich, der „Dachverband“ eines Teils der Besitzer der viertelstundenschlagenden Kirchtürme, schlägt in einer Broschüre vor: Glocken als Zeitangabe sind ein Dienst an der Öffentlichkeit und keine kirchliche Notwendigkeit, weshalb sich die Kirche in diesem Punkt sicher gesprächsbereiter zeigen kann. Wird dieser Dienst nicht mehr oder teilweise nicht mehr gewünscht, zum Beispiel nachts, kann die Zahl der Zeitschläge verringert werden. Die Glocken schlagen dann zum Beispiel nur noch die Stunden, oder von 22 Uhr bis 6 Uhr überhaupt nicht mehr.

Die Landeskirche signalisiert somit: die auch traditionelle gegenseitige Toleranz kann durchaus dazu führen, dass der tradtionelle nächtliche Viertelstundenschlag abgestellt wird, auch wenn diese „Lärmverminderung“ respektive „Ruhesteigerung“ nur von einem Teil der Bevölkerung gewünscht wird!


Nachtrag 17.3.2013

Eine Umfrage in Hinwil ergibt: Glockengeläute stört nur wenige!

Erste Fassung: 11. Oktober 2010