Frustkündigung

Auch wenn BundesrätInnen als MagistratInnen dem Arbeitsrecht nicht unterstehen: die „Kündigungsfrist“, die Zeit zwischen Ankündigung des Rücktritts und dem tatsächlichen Rücktritt, als Mass für die Amtsfrustration der Magistratsperson betrachtet werden.

Dass Moritz Leuenberger das Amtsjahr noch abschliessen will, also fast ein halbes Jahr als „Lame Duck“ arbeiten will, in dieser Zeit Projekte zu Ende führen möchte, auch von Generationenprojekten wie der NEAT/dem AlpTransit Zwischenziele mitfeiern will, illustriert entweder seine Frustrationstoleranz, vielleicht auch eher seine Zufriedenheit über sein Wirken.

Ganz anders Hans-Rudolf Merz: offenbar ist er dermassen frustriert – entweder über seine eigene Leistung oder die Beurteilung durch Medien, Parlament und /oder Öffentlichkeit, dass er quasi fristlos verschwinden will. Auch wenn der Budgetentwurf 2011 unter seiner politischen Verantwortung entstanden ist, will er die Bearbeitung des Budgets in den Kommission und in den Räten nicht mehr begleiten – eine Nachfolgerin, ein Nachfolger wird allerdings kaum in der Lage sein, die Budgetdebatte aktiv mitzugestalten. Es ist offensichtlich: Herr Merz flüchtet aus seinem Amt!

Die politische Forderung ist ganz simpel: nicht Herr Leuenberger muss früher zurücktreten, es ist Herr Merz, der noch etwas länger ausharren sollte! Und falls er nicht zu halten ist und er am Rücktrittsdatum Oktober 2010 festhält: nicht weiter dramatisch, die Ersatzwahl Dezember 2010 ist ausreichend – der Bundesrat kennt auch Stellvertretungen! Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf ist stellvertretende Departementsvorsteherin des Finanzdepartements. Als frühere Finanzvorsteherin des Kantons Graubünden wird sie ohne grössere Probleme das Bundesbudget durch den Beratungsherbst bringen.

Besser als durch seinen hastigen Rücktritt könnte FDP-Mitglied Hans-Rudolf Merz den Zynismus des FDP-Slogans „Mehr Freiheit, weniger Staat“ gar nicht vordemonstrieren – gerade die FDP hat dafür gesorgt, dass sich die Magistratspersonen im Bundesrat immer mehr Richtung Non-Valeur entwickeln, die Schweiz als Gurkensalat-Staat!

Ich bleibe bei meinen Forderungen an Exekutivwahlen:

  • Mindestens 9 Mitglieder in Exekutiven
  • Einzelrücktritte führen automatisch zu Gesamterneuerungswahlen (mit der Sicherstellung, dass mindestens alle 4 Jahre Wahlen stattfinden; dazu gehört für mich auch eine Amtszeitbeschränkung auf maximal 12 Jahre)
  • Ablösung der antiquierten Majorzwahl durch eine Proporzwahl – selbst die Proporz-Wahlen für die Legislativen in Gemeinden, Kantonen und Bund zeigen eine ausreichende Persönlichkeitswahl-Komponente.

P.S. Die Mitarbeitenden der Bundesverwaltung mit den gleichen Dienstjahren wie Bundesrat Merz haben eine ordentliche Kündigungsfrist von mindestens vier Monaten. Für BundesrätInnen wäre die Berücksichtigung solcher Vorgaben so etwas wie Minimalanstand!


Nachtrag 9.8.2010

Der hochfrustrierte und überhastete Abgang von Herrn Bundesrates Merz wird dank politischer Einsicht nicht zu zwei Wahlgängen in zwei aufeinanderfolgenden Sessionen führen: Moritz Leuenberger hat sich als reifer Staatsmann und politisch anständig erwiesen – er hat sich entschieden, gleichzeitig wie Herr Merz zurückzutreten. Dieser Schritt muss allerdings einen Preis haben: es ist selbstverständlich, dass Bald-Alt-Bundesrat Leuenberger noch einige Jobs wird zu Ende bringen können. Viel entscheidender aber: mit ihrer absurden Haltung haben Herr Merz und die FDP gezeigt, dass diese Partei nicht zwei Sitze im Bundesrat besetzen kann, abgesehen davon, dass dieser Anspruch durch gar nichts begründet werden kann. Dies schafft Raum für eine grüne Kandidatur.

1. Fassung: 8.8.2010