Frau Martelli: Es kann nie zu viel Umweltschutz geben!

Kathrin Martelli, FDP-Stadträtin von Zürich, vertritt in Inseraten und Interviews eigenartige Positionen im Bezug auf den Umweltschutz.

Als ein Beispiel für den ihrer Ansicht nach „zu einseitigen Fokus auf den Umweltschutz“ nennt sie das „Fussballstadion Hardturm“. Dazu zwei Anmerkungen:

  • Wenn es beim Hardturm ausschliesslich um das Fussballstadion gehen würde, hätte es wahrscheinlich kein „Debakel“ (Originalzitat Martelli) gegeben. Als „Public Privat Partnership“-Projekt handelt es sich dabei in Realität um ein Renditeobjekt der Credit Suisse – hauptsächlich als Einkaufszentrum genutzt, mit gnädiger Duldung eines Fussballstadions. Welche Absicht hat wohl Frau Martelli mit der dauernd falschen Beschreibung des Projektvorhabens?
  • „Zu einseitig“ ist sprachlicher Unsinn. „Einseitig“ als Einschätzung lässt sich nicht mehr steigern – das Gegenteil von „einseitig“ ist „vielseitig“ – die Steigerung von „einseitig“ ist somit sprachlogisch gar nicht möglich. Auch die in der Einleitung zum Interview im Tages-Anzeiger vom 8.4.2004 gewählte Formulierung „Zürichs Hochbauvorsteherin Kathrin Martelli sagt, warum ihr ein isolierter Blick auf den Umweltschutz zu einseitig ist.“ ist aus den gleichen Gründen sprachlich unkorrekt.

Festzuhalten ist, dass die gerichtliche Beurteilung des Projektes für das Stadion-Einkaufszentrum Hardturm zu weitergehenden Umweltschutzmassnahmen geführt hat, als dies Stadtrat, Gemeinderat und die Mehrheit der Stimmberechtigten wollten. Im Intensivkurs Umweltschutz wird anhand von drei Indikatoren gezeigt, dass die Schweiz weit davon ist, umweltfreundlich zu sein – es wird nach wie vor viel zu wenig für den Umweltschutz getan. Die Umweltschutzgesetzgebung kann also derzeit nicht sicherstellen, dass Projekte auch tatsächlich umweltverträglich sind!

Es wird viel zu wenig für den Umweltschutz getan – auch wenn die Stadt Zürich durchaus in Anspruch nehmen kann, weit mehr zu tun als andere Städte und Gemeinden. Aber eben, es reicht nach wie vor nicht. Auch aus politischer Sicht kann nie zu viel für den Schutz des Menschen und der Umwelt getan werden! Gute Noten bei der Beurteilung der Lebensqualität oder der Energiepolitik dürfen von Frau Martelli nicht dazu missbraucht werden, um die umweltpolitischen Aktivitäten vermindern zu wollen.

Frau Martelli meint, dass Nachhaltigkeit über dem Umweltschutz steht. Damit bestätigt sie einmal mehr die Vorurteile gegenüber der Worthülse „Nachhaltigkeit“. Umweltschutz kümmert sich um den Schutz der Lebensgrundlagen dieses Planeten, letztlich die Basis für gesellschaftliches und ökonomisches Verhalten auf diesem Planeten. Die Schweiz und auch die Stadt Zürich belasten nach wie vor das Ökosystem Planet Erde übermässig, dies lässt sich durch keine ökonomische und gesellschaftlichee Entwicklung kompensieren – zu viel ist zu viel! Nachhaltigkeit muss nicht nur durch Stadträtin Martelli endlich im eigentlichen Sinn des Wortes interpretiert werden: welche Gesellschafts- und Wirtschaftspolitik ist erforderlich, damit sowohl lokal wie global die Umwelt nicht mehr übermässig belastet ist.

Als Anmerkung: das Unbehagen des Heimatschutzes gegen Riesen-Hochhäuser ist nicht umwelt-, sondern gesellschaftspolitisch begründet! Die Politik von Frau Martelli ist also offenbar sowohl aus Umwelt- wie aus Gesellschaftssicht nicht nachhaltig (selbst in der sehr weichen Interpretation von Frau Martelli).

Sehr gefährlich wird die Argumentation von Frau Martelli, wenn es um „Arbeitsplätze“ geht.
Vorerst auch wieder ein sprachliches Detail: Frau Martelli setzt stillschweigend Arbeit und Erwerbsarbeit gleich – und ignoriert damit, dass es sehr viele unbezahlte Arbeit gibt, zum Beispiel im Familienbereich, im karitiativen Bereich und eben auch im Umweltschutz. Inhaltlich korrekt wäre wenn schon „Erwerbsarbeit“.
Frau Martelli verlangt nichts anderes, als dass Arbeitsplätze fast unabhängig von der davon ausgehenden Umweltbelastung geschaffen werden sollen. Diese Argumentation fusst einmal mehr auf der sehr stark vereinfachenden Wirtschaftspolitik, die fälschlicherweise die Wohlstandszunahme mit der Steigerung des Bruttoinlandproduktes BIP gleichsetzt. Auch Frau Martelli ist sicher bekannt, dass Luft- und Lärmbelastungen, ausgelöst eben auch durch ein Projekte wie das Fussball-Stadion-Einkaufszentrum, für eine grosse Zahl von Todesfällen in diesem Land verantwortlich sind, wobei die Behandlung der luftverschmutzungs- und lärmbedingten Krankheiten eben auch das BIP ansteigen lässt. Selbst die aufgrund der menschgemachten Klimaveränderungen befürchteten verstärkten „Naturkatastrophen“ (Stürme, Überschwemmungen, …) steigern das BIP, aber mit Sicherheit nicht den Wohlstand. Projekte wie das Fussball-Stadion-Einkaufszentrum sind ursächlich für die Verkehrszunahme auf den Strassen verantwortlich, die in Zürich zu einer regelrechten Strassenbau-Euphorie führen (mehr dazu). Dies mag allenfalls das BIP steigern, aber ist weder für die Lebensqualität noch den Schutz von Mensch und Umwelt förderlich.

Auch die FDP braucht einen neuen Umgang mit Erwerbsarbeit und Arbeitsplätzen – in den Vordergrund muss die Existenzsicherung der gesamten Bevölkerung gestellt werden. Dabei spielt gesellschafts- und umweltverträgliche Erwerbsarbeit eine gewisse Rolle, genau so wie eine echte Energielenkungsabgabe oder Steuern auf Kapitaltransaktionen (z.B. Tobin-Steuer).