Fragwürdige energiepolitische Fehlkonstruktion

Tatsache ist: bei den Bauten in der Schweiz besteht ein erheblicher Sanierungsstau! Die Schweizerinnen und Schweizer tun zu wenig dafür, dass ihre Wohnungen, Büros, Schulen, Spitäler, Werkstätten usw in guten Stand sind. Vor allem aus einem Grund: die Schweiz kann sich die riesige Menge an umbautem Raum gar nicht leisten! Viel zu viel Fläche steht pro Person zur Verfügung. Doch statt endlich die erforderliche Strukturbereinigung einzuleiten und das Flächenangebot pro Person auf ein nachhaltiges Mass zu vermindern, betreibt die offizielle Schweiz Pflästerlipolitik – auch in der Energiepolitik!

Nach der Bundesverfassung sind die Kantone in der Energiepolitik zuständig für den Gebäudebereich. Sie tun dies sogar harmonsiert, gibt es doch die Mustervorschriften der Kantone im Energiebereich (kurz MuKEn) – erneuert im Jahr 2008, die Kantone sind seitdem mit der Umsetzung der Vorschriften in ihr kantonales Recht beschäftigt, was noch Jahre dauernd dürfte.

Die Kantone haben eine spezielle Auffassung darüber, was sie als Gesetz festsetzen. Eigentlich sollte die bestverfügbare Technologie Massstab für die gesetzlichen Vorgaben sein. Im Energiebereich trifft dies nicht zu: Vorschriften werden so festgesetzt, dass das „Schlimmste verhindert“ wird, wie regelmässig an Vorträgen festgehalten wird. Was genau dieses „Schlimmste“ ist und unter welcher Optik, das ist nicht so genau bekannt. Diverse Bauten zeigen, dass bei Neubauten der Verbrauchslevel des Minergie-P-(Eco)-Labels ohne grössere Probleme erreichbar ist (wenn von Beginn an konsequent auf dieses Ziel hin gearbeitet wird) und dass bei bestehenden Bauten der Verbrauchslevel von Minergie-(Eco)-Neubauten gut eingehalten werden kann. Interessenanterweise handelt es sich dabei genau um jene Vorgaben, die nach der SIA-Dokumentation D 0216 «Effizienzpfad Energie» die Gebäudeenergiestandards der 2000-Watt-Gesellschaft darstellen. Die gesetzlichen Vorschriften für Umbauten liegen rund 40 % höher als die eigentlich erforderliche Vorgabe; der nach Gesetz zulässige Energieverbrauch von Bauten liegt rund doppelt so hoch wie der Energieverbrauch eines Minergie-P-Gebäudes.

Diese Situation ist ziemlich grotesk: der Gesetzgeber signalisiert, dass eine energetische Qualität von Neubauten und umfassenden Erneuerungen gesetzlich zulässig ist, die weit ab von dem ist, was zur Minderung des Mensch gemachten Klimawandels möglich ist. Das ist fragwürdige, wenn nicht gar fahrlässige kantonale Energiepolitik.

An diversen Orten stehen bereits Bauten, die zumindest bei Heizung und Warmwasser, zum Teil auch bei Stromversorgung als Nullenergiehäuser bezeichnet werden können – dies ist selbstverständlich immer auch eine Definitions- und Bilanzgrenz-Frage, so sollte eine seriöse Bilanz auch den Energiebedarf für die Herstellung der Materialien und den Energieverbrauch des mit dem Gebäuden verbundenen Verkehrsaufkommen einbeziehen, bevor im umfassenden Sinn von einem Nullenergiehaus gesprochen werden kann. Immerhin: im Sommer 2009 hat das Europäische Parlament einer Novellierung der europäischen Richtlinie zur Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden zugestimmt. Demnach sollen ab 2018 alle Neubauten die Energie, die sie brauchen, selbst produzieren können.

Statt die volle Lenkungswirkung der nationalen CO2-Abgabe zum Tragen kommen zu lassen, haben National- und Ständerat unter lautem Applaus der linken und grünen PolitikerInnen und sehr vieler Ökoverbände eine Teilzweckbindung der Erträge der CO2-Abgabe beschlossen. 200 Mio Franken sollen ab 2010 für den Gebäudebereich, sowohl für Massnahmen an der Gebäudehülle als auch an der Haustechnik, zur Verfügung stehen.

Wie ist dies zu beurteilen? Üblicherweise wird angenommen, dass öffentliche Energie-Beiträge an private Bauvorhaben einen Hebel von Zehn hätten: pro Franken öffentliche Beiträge würde somit ein Bauvolumen von zehn Franken ausgelöst. Diese 200 Mio Franken teilzweckgebundene CO2-Abgaben-Erträge würden also ein Bauvolumen von etwa 2 Mia Franken auslösen. 2008 wurden gemäss Angaben des Bundesamtes für Statistik etwa 11 Mia Franken in den Unterhalt und die Erneuerung von bestehenden Bauten investiert. Mit 200 Millionen Förderbeiträgen respektive dem Hebelfaktor 10 könnten also rund 18 % der Bauinvestitionen beeinflusst werden.

Schätzungen gehen davon aus, dass der bestehende Sanierungsstau nur behoben werden könnte, wenn während Jahrzehnten mindestens doppelt so viel Geld in den Unterhalt und die Wertvermehrung von Bauten investiert würde! Somit würden selbst mit Hebelfaktor 10 deutlich weniger als 10 % der erforderlichen Bauinvestitionen beeinflusst! Diese „Subventionen“ sind also bestenfalls PR-Beiträge einer Scheinpolitik – zur Bestätigung der Fragwürdigkeit respektive Fahrlässigkeit der offiziellen Energiepolitik!

Dieser massive Sanierungsüberhang hat erhebliche negative Folgen für den Wohnungsmarkt: die aktuellen Preise sind lügend – Wohnungen müssten eigentlich wesentlich mehr kosten, um die richtigen Signale im Wohnungsmarkt zu setzen. Die aktuellen falschen Signale führen dazu, dass breite Bevölkerungskreise übermässig grosse Wohnungen beanspruchen und gleichzeitig die Sanierungs- und Erneuerungstätigkeit erheblich eingeschränkt wird, weil jede eigentlich sinnvolle Baumassnahme in der Oeffentlichkeit als spekulativ gebrandmarkt wird. Die Beurteilung ist klar: die gegenwärtige Generation von Wohnenden konsumiert die Investitionen vorangegangener Generationen und tut viel zuwenig, um das Mehrgenerationenkapital Bauten sinnvoll zu bewirtschaften!

Zuerst: es braucht eine echte Gebäudepolitik!

Dazu gehört ein Sanierungsobligatorium für „schlafende Bauten“: wurde während mehr als 30 Jahren keine grössere bauliche Veränderung an einem Gebäude vorgenommen, sind die BesitzerInnen aufzufordern, ihr Gebäude zweckmässig zu bewirtschaften.

Viele Hauseigentümerschaften sind überfordert mit der sinnvollen Bewirtschaftung ihres Gebäudes – da könnten möglicherweise Immobilienfonds helfen: Hauseigentümerschaften besitzen Gebäude nicht mehr direkt, sondern indirekt über Fondsanteile, verbunden mit einem garantierten Wohnrecht. Im übrigen: Grössere Wohnbaugenossenschaften bieten dies bereits seit langer Zeit an!

Da der Boden begrenzt ist, sind Ansätze für eine Wohnraumlenkungsabgabe zu prüfen: pro Quadratmeter Wohnfläche wird eine Abgabe erhoben, welche gleichmässig an die Wohnbevölkerung rückerstattet wird. Dies steigert die Bereitschaft zur Anpassung des Flächenbedarfs an die jeweilige Lebenssituation. Unterstützend ist zu überprüfen, ob zusätzlich zu den heutigen Angeboten von Altersheimen und -wohnungen Formen von WGs für Paare, deren Kinder ausgezogen sind, geschaffen werden können.

Dann: es braucht eine Energiepolitik, die die Gebäudepolitik unterstützt!

Als erstes: es braucht eine stark lenkende Energieabgabe, die klare Signale setzt, um den Energieverbrauch zu vermindern. Dabei sind die Lenkungsabgaben so anzusetzen, dass beispielsweise bei Oel ein Endpreis erreicht wird, welcher einem Marktpreis bei 250 Dollar pro Barrel Rohöl entspricht.

Strenge energetische Vorschriften führen in einer ersten Phase dazu, dass bauliche Erneuerungen nicht durchgeführt werden. Dies ist nicht weiter dramatisch: stark etappierte Sanierungen verhindern die strategische Beurteilung der Gebäudesituation; da bei dieser Bewirtschaftungsmethode dauernd mittelgrosse Restwerte erhalten werden, werden dadurch umfassende Erneuerungen aufgeschoben. Denn: nur Bauten, in die sich Investitionen langfristig lohnen, haben eine Zukunftschance; alle andern sollen ausgetragen und bei Bedarf durch einen Ersatzneubau ersetzt werden! Die Energiegesetzgebung ist dabei auf die tatsächlich erreichte Energiequalität auszurichten und nicht auf die Vorgabe von baulichen Detailvorschriften.

Finanzielle Beiträge an Bauvorhaben aus energetischen Gründen sind zu vermeiden, da dadurch die strategischen Entscheide zur Vermögensbewirtschaftung unzulässig beeinflusst werden.

Da sich die Politik noch lange nicht von der Faszination der Giesskannen-Geldverteilung wird trennen können: Subventionen an energetische Massnahmen sind nur auszurichten, wenn die Gebäude die Vorgaben für die 2000-Watt-Gesellschaftlich nachweislich erreichen, das heisst Minergie-Neubau-Level für Erneuerungen, allenfalls Abwrackprämien, wenn ein Ersatzneubau den Minergie-P-Level unterschreitet, immer verbunden mit der Forderung nach einem deutlich über 50 % liegenden Anteil von erneuerbaren Energien für Raumheizung, Wassererwärmung und Stromversorgung.

Dazu gehört auch eine Sozial- und Wirtschaftspolitik, die die Existenzsicherung und nicht die Erwerbsarbeit ins Zentrum stellt: bedingungsloses Grundeinkommen für alle!

Aus 2kwblog.umweltnetz.ch