Ein Plädoyer mehr für das bedingungslose Grundeinkommen für alle: sinnvolle Lebenszeit statt Work-Life-Balance

Viel Glück – wenig Geld – dieser Artikel in der NZZ vom 21.1.2013 unter anderem über die ökonomischen Möglichkeiten von Schriftstellerinnen und Schriftstellern hat zu einer Reaktion des Schriftstellers Peter Stamm geführt, mit dem konkretisierenden Titel Arm, aber glücklich. Das den ersten Titel begleitende Interview (Ein Brotjob kann eine Chance sein) mit Rainer Holm-Hadulla, Professor für psychotherapeutische Medizin an der Universität Heidelberg, führt nicht wirklich weiter – „Kreativität“ (welche SchriftstellerInnen sicher brauchen) wird als Hindernis für den Broterwerb dargestellt. Deshalb gibt es hier ein weiteres Pläydoyer für das bedingungslose Grundeinkommen für alle.

Götz Werner, früherer Entrepreneurship-Professor, sagt es etwas anders: er empfiehlt jungen Menschen, die Begriffe Arbeitszeit und Freizeit aus dem Wortschatz zu streichen und stattdessen „Lebenszeit“ zu verwenden, und bei all dem, was gemacht wird, die Frage nach dem Sinn der eigenen Tätigkeiten zu stellen (siehe z.B. Augsburger Allgemeine). Götz Werner ist unter anderem einer der grossen Promotoren der Idee des bedingungslosen Grundeinkommens für alle.

Am Morgen des 3.2.2013 wurde in Tamedia-Online ein Artikel publiziert mit dem Titel „Rauch über der Landstrasse“ – es ging um einen Brand an der LanGstrasse in Zürich. Es ging fast zwei Stunden, bis dieser Tippfehler korrigiert war. Selbst VielschreiberInnen produzieren Tippfehler (P.S. allfällige Freud’sche Interpretationen werden durch die LeserInnen erstellt) – so ist nun mal das Leben. Die „Workers“ bei Tamedia produzieren sehr viele Tippfehler, abgesehen von der dauernden Verwechslung von städtischen und kantonalen Institutionen. Ein Korrektorat (es gibt Menschen, die darin einen Lebenssinn sehen) scheint es nicht mehr zu geben bei Tamedia – respektive das Korrektorat ist ein ausgelagertes Freiwilligen-Grüppchen: auf jeder Tamedia-Seite im Internet gibt es die Fehlermelde-Funktionen.

Dieses Fehlen des Korrektorats ist durchaus ein Hinweis auf die Bedeutung der geschriebenen Sprache in unserer Gesellschaft. Nur in Gesellschaften, in denen Schreiben eine grosse Bedeutung hat, können Menschen vom Schreiben leben, wobei dies durchaus als selbstverstärkender Wirkungskreis verstanden werden kann. Die weit verbreitete Kenntnis der geschriebenen Sprache (sowohl Schreiben als auch Lesen) war eine der Voraussetzungen für die Epoche der Aufklärung.

Wenn SchriftstellerInnen von ihrer Arbeit nicht leben können, ist dies nur zum Teil eine Frage der Qualität ihrer Schreib- und Denkarbeit. Das Informationszeitalter mit 140-Zeichen-Twitter-Botschaften und 160 Zeichen für eine SMS (=Short Message Service) hat die Sprache eine andere Bedeutung, es entwickelt sich gar eine eigenständige, typischerweise „internationale“ Abkürzungssprache (als eine Art Esperanto). Auch kurze Texte können eine hohe Qualität aufweisen, darum geht es hier nicht – mit 140 oder 160 Zeichen lassen sich keine längeren, konsistenten Argumentationen erstellen. Das Informationszeitalter könnte auch zum Zeitalter der Kurzatmigkeit verkommen. Die Welt ist einiges komplexer, auch wenn es eine Weltformel nicht gibt! Bilder der Welt, Bilder einer zukünftigen Erde brauchen etwas mehr Raum. Jørgen Randers braucht für sein Buch 2052 – Eine globale Prognose für die nächsten 40 Jahre 432 Seiten – mit einigen Abbildungen braucht dieses Buch als „epub“ 2.8 MB Speicherplatz. Es braucht SchriftstellerInnen, es braucht Menschen, die ihre Gedanken, die die Gedanken anderer in Schriftform bringen können, verständlich, nachvollziehbar.

Selbstverständlich kann Schreiben auch ein Hobby sein, kann etwa mit Politik verknüpft sein. 106 Beiträge habe ich letztes Jahr für umweltnetz.ch geschrieben – auch dies ist ein Buch mit etwa 400 Seiten! Viele dieser Beiträge kann ich empfehlen, ich pflücke zwei davon heraus:

Und ich schreibe auch Geschichten – Gelegenheit macht Geschichten! Allerdings: ich möchte meine Geschichten eigentlich nicht verkaufen, ich möchte davon nicht leben müssen. Nicht, weil mir die Geschichten nicht gefallen würden, sondern genau deshalb, weil sie mir gefallen – ich schreibe nicht als Hobby, ich schreibe, weil es mir Spass macht. Gleichzeitig – und dies aus verschiedenen Gründen – würde ich Dinge, die in den letzten Dingen sehr viel Geld und insbesondere Bonus gebracht haben, nicht oder überhaupt nicht gern tun, weil sie für mich keinen Sinn machen.

Ich kenne sehr viele Menschen mit Fähigkeiten im kreativen Bereich, die nicht von ihren kreativen Fähigkeiten leben wollen, sondern einen Broterwerb suchen, der für sie zumindest teilweise Sinn macht.

Gerade in Ländern mit übergrossem ökologischem Fussabdruck ist festzustellen, dass zu viele einfach „Work“ erledigen, die mit dem „Life“, dem Leben auf diesem Planeten, nicht wirklich vereinbar ist, und dies ausschliesslich darum, um das Brot, die Butter und weitere Beilagen dazu zu verdienen. Für den einzelnen Menschen, aber auch für die Welt wäre es allerdings sinnvoller, wenn diese Menschen schreiben würden, egal, ob sie ihre Werke publizieren und ob diese gelesen werden, oder sie machen Musik, Malen oder Zeichnen, – ganz einfach nicht „Work“. Ich kann ehrlicherweise Herr Rainer Holm-Hadulla (s.o.) nicht verstehen, der sehr direkt empfiehlt, zuerst Dinge zu tun, die dem Broterwerb dienen!

Damit eben nicht sinnentleerte „Work“ geleistet werden muss, hat Götz Werner hat einen guten, einen sehr guten Vorschlag: das bedingungslose Grundeinkommen für alle!

Zur Kultur hinter dem Schreiben: Der Welttag des Buches (World Book and Copyright Day) am 23. April ist seit 1995 ein von der UNESCO weltweit eingerichteter Feiertag für das Lesen, für Bücher, für die Kultur des geschriebenen Wortes und auch für die Rechte ihrer AutorInnen (Zitat aus Wikipedia). P.S. Es dürfen auch EPUBs sein. Und das bedingungslose Grundeinkommen für alle vereinfacht auch die gesamte Urheberrechtsfrage. Wer schreibt, schreibt immer auch für die Allgemeinheit, oder wenigstens einen Teil der Allgemeinheit – Texte sind somit eigentlich immer auch gemeinsames Gut!