Ein bemerkenswerter Neubau in Lustenau

Wozu dienen Gebäude? In erster Linie dazu, dass sie von Menschen genutzt werden, zum Wohnen, zum Arbeiten, für andere Zwecke. Aus Nachhaltigkeitssicht ist es erforderlich, dass solche Bauten für Erstellung und Betrieb möglichst geringen Ressourcen- und Energieverbrauch zur Folge haben. Der Neubau 2226 des Architekturbüros Baumschlager & Eberle in Lustenau führt zu einigen Bemerkungen – ein bemerkenswerter Neubau also!

Laut Wikipedia-Eintrag beschäftigt sich das Büro Baumschlager & Eberle unter anderem damit, „über die Qualität der Hülle den Einsatz technischer Systeme für die Klimatisierung zu reduzieren„. Ein Tamedia-Artikel nimmt mit dem Titel „Das Haus ohne Heizung“ (nur im Bezahlteil von Tamedia verfügbar) nur einen Teil dieser Aktivitäten des Architekturbüros auf. Dietmar Eberle, Architekt (und ETH-Professor), wird in diesem Artikel mit der Aussage zitiert, der Mensch sei ein Störfaktor. Eine bemerkenswert eigenartige Auffassung äussert hier ein Architektur-Professor über seine eigentlichen KundInnen, die Menschen nämlich, für die er Häuser bauen lässt: Störfaktor sind sie! Störfaktoren sind etwa, dass sie einen Computer aufstellen wollen, dass sie diesen mit Strom und einem Netzwerkanschluss versehen haben wollen, dass sie guten thermischen Raumkomfort vorfinden, dass die Raumluft von guter Qualität ist, und so weiter. Zum Menschen als Störfaktor in Bauten passt auch, dass in einer Bildserie mit 24 Bildern zu diesem Haus Menschen nur als „Dekoration“ gezeigt werden, nicht aber bei der Nutzung der eigentlich für sie bestimmten Räume.

Das Haus ist als Würfel gebaut – nach der Kugel die kompakteste Gebäudeform. Auch dies bemerkenswert!

Das Haus ist sehr gut wärmegedämmt, dies wird zwar aus den üblichen PR-Artikeln über dieses Haus nicht erkennbar. Bei der Suche nach den Details werde ich fündig: zwei mal 38 cm Wienerberger-Porotherm-Backsteine, ergibt zusammen mit dem Verputz einen U-Wert von etwa 0.1 W/m2K – die Wände des Neubaus in Lustenau sind rund 40 % besser gedämmt, als es die Energievorschriften im Kanton Zürich erfordern, und sie sind 1/3 besser gedämmt, als das entsprechende Minergie-Modul erfordert! Auch der U-Wert der Fenster ist mit 0.5 W/m2K zweieinhalb mal besser als von den Vorschriften im Kanton Zürich verlangt! Dies ist durchaus bemerkenswert, da andere ETH-Architekturprofessoren die Auffassung vertreten, es sei nicht wichtig, wie viel Energie der Mensch brauche. Energieeffiziente Gebäude sind und bleiben dann, wenn Architekten für ihr eigenes Büro bauen, sehr wichtig.

Beim Gebäude in Lustenau fällt der geringe Fensteranteil auf – begründet wird dies mit dem sommerlichen Wärmeschutz respektive dem Verzicht auf eine Klimaanlage. Angesichts des aktuellen Trends in der Architektur zu fast vollflächig verglasten Bauten ist auch dieser planerische Entscheid des Architekurprofessors Eberle bemerkenswert.

„Haus ohne Heizung“ titelte der Tagesanzeiger – geheizt wird dieses Gebäude mit der Abwärme der Menschen, der Computer, von weiteren Geräten, möglicherweise des Lichts. Menschen werden möglicherweise zukünftig zur Reduktion des Energieverbrauchs aus dem PendlerInnenverkehr vermehrt zu Hause arbeiten („Home Office“) – diese Abwärme dürfte dann an einem solchen Büroarbeitsplatz fehlen. Computer brauchen für die Bewältigung der üblichen Aufgaben immer weniger Energie – wie wird sich dies auf den für Heizzwecke in diesem Haus erforderlichen Abwärmeanfall auswirken? Und: selbst in einem Bürohaus braucht es hin und wieder Warmwasser (auch so eine Störung, die von den NutzerInnen eingebracht wird): wie sieht dies wohl aus in diesem Gebäude?

Bemerkenswert ist sicher auch, dass klassische Haustechnik zugunsten der Regelungstechnik-Software reduziert wurde – clevere Regelungstechnik statt Investitionen in Metall und Beton ist in jedem Fall eine gute Sache. Dies allerdings unter der Voraussetzung, dass der „Störfall Mensch“ in einfacher Art und Weise mit der Regelungstechnik umgehen kann!

Dass ein gut gedämmtes und auch im Bezug auf den sommerlichen Wärmeschutz optimiertes Bürogebäude für ein Architekturbüro ohne Heizung und Klimatisierung auskommt, wäre nicht weiter bemerkenswert – leider haben dies die wenigsten PlanerInnen bis jetzt gemerkt. P.S. diese Aussage ist nicht automatisch auf andere Nutzungen übertragbar, insbesondere nicht auf das Wohnen.

Ob es dazu allerdings je nach Quelle 70 bis 80 cm dicke Backsteinwände braucht, ist klar mit Nein zu beantworten. Entscheidend ist dabei der geringe Fensterflächenanteil und nicht der Aussenwandaufbau – „konventionelle“ Bauteile mit eher dünnen tragenden Bauteilen, einer guten Wärmedämmung und einer vorgehängten Fassadenoberfläche mit integrierter Photovoltaikanlage erfüllt den gleichen Zweck. Gleichzeitig erfordert die durchaus auch mögliche alternative Konstruktion weniger Aufwand (Energie und Treibhausgase) und weniger Raum – durch solche Elemente wird ein Gebäude noch lange nicht zur Gebäudemaschine.

Zum Thema Raumbedarf gehören auch die je nach Quelle 3.3 bis 3.5 Meter hohen Normalgeschosse – bei diesem Gebäude hätte bei üblichen Raumhöhen also ein Geschoss mehr Platz gehabt, Raum ist ein durchaus relevantes Nachhaltigkeitskriterium. Diese hohen Räume sind daher mit grosser Wahrscheinlichkeit nicht erwähnenswert im Sinne der Vorbildwirkung.

Die hohen Räume führen auch zu einer weiteren Frage: das Gebäude weist sehr hohe Fenster mit allerdings sehr guten U-Werten auf. Trotzdem stellt sich die Frage, ob der bei wegfallender Sonneneinstrahlung einsetzende Kaltluftabfall bei den Fenstern, welcher zu Zugserscheinungen im Aufenthaltsbereich führen kann, komfortmässig unkritisch ist – davon wird sicher noch zu hören sein.

In meinen Beitrag Raumkomfort for Dummies habe ich festgehalten, dass ich aus Gründen des Raumkomforts eine Lüftungsanlage in Bürobauten für zwingend erforderlich halte. Um eine ausreichende Luftqualität zu ermöglichen, müssen auch im Gebäude von Baumschlager & Eberle während einigen Minuten pro Stunde Lüftungsöffnungen offen stehen – mit an kalten Wintertagen aus Komfortsicht unzulässigen Auswirkungen auf die Menschen, die in unmittelbarer Nähe dieser Austrittsöffnungen arbeiten. Da die oben verlinkten Architekturbilder des Gebäudes die „Normalarbeitsweise“ nicht zeigen, ist nicht abzuschätzen, ob hier eine bemerkenswerte Lösung gefunden wird – oder einfach einmal mehr die Bedürfnisse der Menschen als Störfaktor interpretiert wurden. Wie sich zahlreiche selbstständig öffnende Lüftungsklappen insbesondere in den unteren Stockwerken, das Sicherheits- und das Unterhaltskonzept vereinbaren lassen, wird die nächste Zukunft zeigen – in diesem Sinne ebenfalls noch nichts bemerkenswertes.

Fazit: eine gute Wärmedämmung, ein guter sommerlicher Wärmeschutz – inklusive Blendschutz – sind für Bauten zwingend. Möglichst wenig Technik, und wenn schon solche mit hohem Cleverheits-Faktor, ist anzustreben. Ein sowohl im Sommer wie im Winter guter thermischer Raumkomfort, eine gute Luftqualität gehören zu den Normalanforderungen an ein Gebäude. Diese Aspekte dürfen von ArchitektInnen, selbst wenn es sich um ETH-Architektur-ProfessorInnen handelt, nicht als Störfaktor wahrgenommen werden. Das Gebäude 2226 des Büros Baumschlager & Eberle ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Da einiges offen bleibt, wird es weiterhin eine Auseinandersetzung mit der Thematik brauchen, um Bemerkenswertes festzuhalten.

Ein Gedanke zu „Ein bemerkenswerter Neubau in Lustenau“

  1. Der Artikel hat mir sehr gut gefallen und was Neubauten angeht, sehe ich es genau so wie er. Neubauprojekte sollten viele ökologische Standards erfüllen und viel Technik beinhalten wenn es Sinn macht. Neue Immobilien die ohne Klimaanlage im Sommer auskommen und mit sehr wenig Heizkosten im Winter sind erstrebenswert.

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