Dürfen sich auch BundesrätInnen 100 Tage einarbeiten?

Noch selten hat eine Departementszuteilung in einem partiell neu gewählten Bundesrat derart viel Staub aufgewirbelt wie nach dem Eintritt von Johannes Schneider-Ammann und Simonetta Sommaruga in die Landesregierung. Vier neue Departementschefs, das ist tatsächlich ein beachtlicher Wechsel, 2/3 neu (unter Berücksichtigung der Tatsache, dass einer der Bundesräte eigentlich ein Museumsdirektor ist). Vor einem endgültigen Urteil über diese Zuteilung empfehle ich allerdings, die ersten 100 Tage der neuen Tätigkeit abzuwarten, also so etwa bis nach den Sportferien 2011.

Die Zuordnung der Departemente gehört zu den ganz wenigen eigenständigen Entscheidungsmöglichkeiten einer Exekutive. Es darf nicht vergessen werden, dass das Bundesrat-Kollegium eben Exekutive und darum politisch ist – es braucht also auf keinem der 6 echten Bundesratssitze Fachleute des Fachgebietes (für den Sitz des Museumsdirektors so oder so nicht). BundesrätInnen sind letztlich Sprachrohre der Verwaltung, und haben politisch umzusetzen, was in erster Linie die Stimmberechtigten und in zweiter Priorität das Parlament beschliessen!

Objektiverweise wird die Finanzverantwortung in einer Exekutive in ihrer Bedeutung massiv überschätzt. Auch wenn es sich um riesige Zahlen handelt: der überwiegende Teil der Mittel ist durch Vorgaben der Verfassung und des Gesetzes vorgegeben – die im Sinne einer politischen Gestaltung verfügbaren Mittel sind in einem öffentlichen Haushalt minim. Es ist auch kaum steuerbar, ob nach Rechnungsabschluss ein deutlich anderes Ergebnis herauskommt als es gemäss Budget vorgesehen war – zu viele nicht beeinflussbare Externalitäten wirken sich auf die realen Mittelflüsse aus. Komplexe Themen – als ein Beispiel die Thematik „too big to fail“ für die Schweizerischen Grösstunternehmen, insbesondere Banken – erfordern derart viel Fachwissen und gehorchen derart unterschiedlichen Anforderungen, dass auch hier die Einflussmöglichkeiten der Finanzministerin marginal sind.

Zu beachten ist, dass ein erheblicher Teil der Mittel an Personen, Firmen und Institutionen geht, die den sogenannt bürgerlichen Parteien nahestehen – die Parteien betreiben Klientel-Politik. Viele dieser „Subventionen“ sorgen zum Beispiel dafür, dass nicht-nachhaltiges Verhalten zementiert wird.

Das EJPD leidet darunter, dass seit langer Zeit rechtsbürgerliche PolitikerInnen für die Departementsleitung zuständig sind. Die Verwahrungsinitiative, die Anti-Minarett- und auch die Ausschaffungs-Initiative sind eindeutig völker- und menschenrechtswidrig und hätten gar nie zur Abstimmung gebracht werden dürfen. Die Departementsvorstehenden der letzten Jahre haben hier die Rechts-Willkür der ihnen nahestehenden Gruppierungen vor rechtsstaatlichen Grundsätzen gestellt. Die absehbare Undurchführbarkeit der diversen absurden Verfassungsbestimmungen hat möglicherweise zu einer Art Frustkündigung bei Frau Widmer-Schlumpf geführt – die „Flucht“ ins Finanzdepartement als Chance, diese SVP-vermurksten Geschäfte auf der Müllhalde der Geschichte entsorgen zu können.
Das Justiz- und Polizeidepartement ist in einem demokratischen Rechtsstaat ein Schlüsseldepartement, welches wesentlich zur Akzeptanz des Staates bei den Stimmberechtigten beiträgt. Es ist also Frau Sommaruga durchaus zuzutrauen, dank ihrer Popularität wieder den Rechtsstaat und nicht den rechtsbürgerlichen Populismus als Grundlage der Politik zu verankern!

Nach der „Bestellung“ des Departmentswechsels von Doris Leuthard durch die economiesuisse und andere Kreise ist klar: die Wirtschaft will ihre veralteten energiewirtschaftlichen Vorstellungen durchsetzen, und bedient sich dabei der „Manipuliermasse“ einer CVP-Bundesrätin. Spätestens seit den Geheimabsprachen zwischen deutscher Bundesregierung und der Atomwirtschaft ist klar: Atomkraftwerke braucht es energiepolitisch nicht, es gibt genügend nachhaltig nutzbare Alternativ-Möglichkeiten. Daher: sollte Frau Leuthard tatsächlich für neue Atomkraftwerke plädieren, ist klar, dass der Einfluss der rückständigen Wirtschaftskreise dominiert hat über die deutlich deklarierte Meinung der Bevölkerung, welche erneuerbare Energien will, wenn sie denn auch tatsächlich angeboten werden. Sollte es zu diesem vermuteten Gemauschel zwischen Bundesrätin und Wirtschaft kommen, dürfte dies Gewähr dafür bieten, dass die höchste Instanz der Demokratie, die Volksabstimmung der Stimmberechtigten, diesen Manipulationsversuch der Wirtschaft unterbinden wird. Nochmals klar und deutlich: es braucht KEINE neuen Atomkraftwerke in der Schweiz – jeder andere Entscheid ist manipuliert!

Im übrigen: nicht nur PolitikerInnen können den Atomstrom abwählen, auch die StromkonsumentInnen!

Frau Bundesrätin Doris Leuthard hat sich bisher als Volkswirtschaftsministerin dadurch bemerkbar gemacht, dass sie beim Klimaschutz auf Auslandkompensation statt inländischen Klimaschutz setzte. Ein solcher „Ablasshandel“ ist ethisch-moralisch knapp akzeptabel für Individuen, die beispielsweise unvermeidliche (?) Flüge klimawirkungsmässig kompensieren wollen, nicht aber für Staaten. Denn: Klimaschutzmassnahmen im Inland nützen der Volkswirtschaft und machen sie zukunftsfähig – mit Kompensationen wird begrenzte Wirkung ausgelöst, und dies vor allem in Gegenden, die bereits heute unterdurchschnittliche ökologische Fussabdrücke aufweisen – mit Klimagerechtigkeit hat dies nichts zu tun. Das Klima schützen? Das sollen die andern! funktioniert nicht wirklich für eigenverantwortliche Personen, und deshalb schon gar nicht für ein Land. Frau Bundesrätin Leuthard wird sich bereits in den ersten hundert Tagen im Amt überlegen müssen, ob sie als Klimaschutz-Bundesrätin oder als Climate Criminal in die Geschichte eingehen will.

Darum: sebstverständlich dürfen sich sowohl die neuen als auch die departementswechselnden BundesrätInnen 100 Tage in ihr Amt einarbeiten – aber bis dann wird klar sein, ob sie die Interessen des Landes oder die ihrer Partei oder irgendwelcher Lobbyies in den Vordergrund stellen! Im Wissen darum, dass es sich beim Bundesrat um die Exekutive eines direkt-demokratischen Systems handelt – in Wahrheit sind die Exekutiven die Dienstleister der Demokratie!