Dilemma Einervakanz im Zürcher Regierungsrat

Die aktuellen Diskussionen im Dreieck Grüne – Grünliberale – SP über allfällige Kandidaturen für die bevorstehende Einerersatzwahl in den Zürcher Regierungsrat zeigen einmal mehr: es braucht eine neue Art, wie Regierungen in der Schweiz gewählt werden! Stichworte dazu: bei Einzelrücktritten Gesamterneuerungswahl, Uebergang zum Proporzwahlrecht, minimale Mitgliederzahl neun. Noch steht die Kandidatinnen-Kür bevor und dann die Wahl bevor – mit gewissen Vorteilen für die SVP, welche Noch-Regierungsrätin Rita Fuhrer ersetzen möchte. Klar ist: nach Proporz hätten die Grünen einen Sitzanspruch in der Regierung – FDP und CVP beanspruchen je einen Sitz, der ihnen eigentlich nicht zusteht.

Es ist also durchaus legitim, dass man sich ausserhalb SVP-FDP-CVP (97 Mandate im Kantonsrat, entsprechend 54 % der Sitze – 71 % der Regierungsratssitze) Gedanken über eine Kandidatur macht. Klar ist: wenn überhaupt, macht nur eine Kandidatur aus dem „grünen“ Umfeld Sinn. Der Grünliberale Martin Bäumle würde kandidieren, wenn die Grünen keine eigene Kandidatur erwägen – und würde bei den nächsten Gesamterneuerungswahlen verzichten, wenn er diesmal nicht gewählt wird. Wäre dies ein kluger Schritt – oder müssten, wie das die SP verlangt, die Grünen eine Kandidatur stellen, weil für die SP Bäumle zu SVP-mässig aussieht? Und wäre dies bei den Grünen Katharina Prelicz, die gemäss Smartspider sehr SP-nahe ist? Oder wäre es Bastien Girord, der gemäss Smartspider ein Mü näher bei Martin Bäumle politisiert als Katharina Prelicz?

Smartspider-Grafiken, anlässlich der Regierungsrats- und Nationalratswahlen 2007 erstellt, erlauben eine etwas bessere „Schubladisierung“ der KandidatInnen als die doch eher grobschlächtigen Einstufungen in den Politforen und Zeitungskommentaren. Ich habe für je drei bekannte VertreterInnen der Parteien Grüne, FDP. SVP und SP einen Mittelwert der Smartspiderpunkte ermittelt; diese Mittelwerte vergleiche ich mit dem Smartspider-Profil von Martin Bäumle, siehe Grafik. Vorerst: SP und Grüne sind in ihren Profilen sehr nahe, mit einer relevanten Abweichung eigentlich nur bei der aussenpolitischen Öffnung. Martin Bäumle ist SP und Grünen näher als der FDP, und doch deutlich von der SVP entfernt, mit den grössten Abweichungen beim Sozialstaat, der wirtschaftlichen Liberalisierung, der Finanzpolitik und der Ausländerpolitik. „Grünliberal“ ist also kein Etikettenschwindel.

Warum denn hätte die SP lieber ein SVP-Parteimitglied in der Regierung als einen Grünliberalen? Das hat wahrscheinlich eher mit der Profil-Nähe von SP und Grünen zu tun, und dass es als Machbarer erscheint, bei einer Ersatzwahl einEn GrünEn in die Regierung zu hieven als bei einer Gesamterneuerungswahl zusammen mit 2 SP-KandidatInnen – da könnte es allenfalls auch ein SP-Mitglied nicht schaffen.

Ich habe eigentlich immer gemeint, es gehe hier um Persönlichkeitswahlen – und korrigierend können Kantonsrat und Volk ja so oder so regelmässig eingreifen. Weil die Einerersatzwahl als Majorzwahl so völlig anachronistisch ist, gibt es überhaupt derartige taktische und strategische Dilemmas. Bei solchen gibt es erfahrungsgemäss nie eine Bestlösung, schlicht darum, weil komplizierte Dinge nicht nur die ParteistrategInnen überfordern.

Darum braucht es eine Wahlrechtsreform!

Smartspider-Differenzen


Nachtrag 21.9.09

Die Grünen haben sich am 21.9.09 klar gegen eine eigene Kandidatur, aber auch klar gegen eine Unterstützung einer allfälligen Kandidatur Bäumle ausgesprochen – perfekte Steigbügelhalterungen also für die nach wie vor ausstehende SVP-Nominierung. Einfach noch zur Erinnerung: werden die Smartspiderdifferenzen zwischen Martin Bäumle und den Parteien SVP, SP, Grüne und FDP addiert und gemittelt, ergeben sich im Vergleich zur SVP 41, zur SP 25, zu den Grünen 22 und zur FDP 21 mittlere Differenzpunkte. Hier schwindeln offenbar die Grünen sich selbst und der Oeffentlichkeit etwas vor, wenn sie behaupten, Martin Bäumle stehe der SVP näher als den Grünen! Angesichts der Erfahrungen der letzten 20 30 Jahre bin ich zum Schluss gekommen, dass es so oder so egal ist, wer in den Regierungen sitzt – ich habe nicht den Eindruck, dass bisherige grüne VertreterInnen entscheidende ökologische Akzente in ihrem Wirken gesetzt haben. Mit Initiativen und Referenden lässt sich wesentlich mehr Einfluss auf die Politik nehmen als mit Köpfen! Oder anders ausgedrückt: bei Wahlen geht es schon lange nicht mehr um Inhalte, sondern um das Ego der zu wählenden Personen. Spannend daher, welche Personen sich mehr oder weniger regelmässig für alle möglichen und unmöglichen Ämter zur Verfügung stellen.

Im übrigen: wenn alle, die gar keine Kandidatin und gar keinen Kandidaten der SVP auf den Wahlzettel schreiben wollen, einen gültigen anderen Namen auf den Zettel schreiben, gibt dies erstens ziemlich viel Arbeit für die Wahlbüros und zweitens einen zweiten Wahlgang. Das wäre sicher auch eine Möglichkeit 😉

Erste Fassung 18.9.09