Der politische Weg zum energieautarken Haus

Das gute Beispiel eines „energieautarken“ Gross-Einfamilienhauses in Flerden (das nördlichste der oberen Heinzenberger Dörfer) wird im Tages-Anzeiger vom 7. Januar 2008 zum Anlass genommen, die Frage zu erörtern, ob auch die geplanten Hochschulbauten bei der Universität und der ETH energieautark werden sollten.

Das Beispiel Flerden zeigt die grundsätzliche Machbarkeit der Energieunabhängig für wichtige Teilbereiche des Wohnens. Dies ist eine sehr verdienstvolle Leistung sowohl der Bauherrschaft als auch der Planenden – und verdient unbedingt Multiplikation.

Allerdings ist auf einige nicht unbedeutende Aspekte hinzuweisen. Das freistehende neue Gross-Einfamilienhaus in einer „Randregion“ ist wenig geeignet als Pilotbeispiel. Dies aus verschiedenen Gründen:

  • 240 Quadratmeter Wohnfläche für 5 Personen weist dieses Haus auf – im gemeinnützigen Wohnungsbau sind halb so grosse Wohnungen für fünfköpfige Familien der Normalfall. Mit hoher Wahrscheinlichkeit ist das freistehende Einfamilienhaus nicht die Wohnform der 2000-Watt-Gesellschaft. Auch bei energieautarken Häusern ist die haushälterische Nutzung der beschränkten Ressourcen Boden/Raum sicherzustellen.
  • Bei Neubauten von Einfamilienhäusern ist die Realisierung der Energieautarkie relativ einfach. Die Herausforderung ergibt sich bei bei anderen Nutzungen und insbesondere bei der energetischen Verbesserung des bestehenden Gebäudebestandes.
  • Standorte in Randregionen sind – wenn die Bewohnenden sich nicht mehrheitlich in der Region aufhalten – sehr stark geprägt durch einen hohen Energieaufwand für die Abdeckung der Verkehrsbedürfnisse. Der Fahrplan des öffentlichen Verkehrs für Flerden zeigt, dass autofreies Wohnen ausgesprochen schwierig sein dürfte.
    Wenn von den Bewohnern dieses Haushaltes ein durchschnittliches Neu-Auto (7 lt Benzin pro 100 km) durchschnittlich genutzt wird (12’000 km pro Jahr), entspricht der Energieverbrauch gerade etwa dem Minergie-P-Grenzwert von 30 Kilowattstunden pro Quadratmeter. Damit wird die Energieautarkie sehr stark relativiert.
  • Ein zu diskutierender Aspekt ist die Frage, welche energetischen Ansprüche durch relativ aufwendig zu nutzende erneuerbaren Energien abgedeckt werden sollen. Selbst an einem Gross-Einfamilienhaus sind beispielsweise die für die Sonnenenergienutzung verfügbaren Flächen beschränkt, und die Herstellung der Nutzungstechniken ist immer mit dem Verbrauch nicht unbegrenzt verfügbarer Ressourcen verfügbar.

Diese Argumente sprechen nicht grundsätzlich gegen das Projekt in Flerden. Es geht darum, darauf hinzuweisen, dass auch mit solchen bereits sehr ambitionierten Projekten die Herausforderungen der 2000-Watt-Gesellschaft noch nicht abschliessend bewältigt sind!

Das Forum Chriesbach, Hauptgebäude der Eawag (Wasserforschungs-Institut des ETH-Bereichs) zeigt bereits seit 2006, dass auch bei Bürobauten der Energieverbrauch im Vergleich zu „Normalbauten“ deutlich vermindert werden kann, dass auch zumindest ein Teil der erforderlichen Energien am Gebäude selbst bereitgestellt werden kann. Auch dieses Beispiel zeigt die grundsätzliche Machbarkeit eines tiefen Energieverbrauchs bei Bürobauten – auch hier geht es wieder um die Multiplikation.

Wie soll nun die Politik mit diesen grundsätzlichen Machbarkeiten umgehen? Ist die Zeit bereits reif dafür, bereits heute gesetzlich verbindlich zu verlangen, dass öffentliche Bauherrschaften Vorgaben wie Energieautarkie und höchste Energieeffizienz einzuhalten haben, wie dies einzelne Kantonsräte für das Hochschulareal wünschten? Aus meiner Sicht sind die bis anhin realisierten Beispiele zu speziell, um daraus bereits allgemeine Regeln ableiten zu können. Solche Vorgaben treffen zudem Bauherrschaften, deren Verantwortliche zu jenen gehören, die bereits bis anhin erhebliche Anstrengungen unternommen haben, um die erforderlichen Schritte in Richtung 2000-Watt-Gesellschaft einzuleiten.

Dies lässt sich am Beispiel von Heinrich Gugerli, Leiter der Fachstelle für nachhaltiges Bauen der Stadt Zürich, illustrieren. Er wird im oben erwähnten TA-Artikel nach dem einleitenden Satz „Skepsis überwiegt dagegen bei der Stadt Zürich“ zitiert. Nun gehört es zwar historisch betrachtet zum Schicksal von PionierInnen, dass diese im Verlauf der Zeit vergessen gehen. Gerade im Gebäudebereich ist es allerdings so, dass bereits zu lange die immer gleichen Organisationen und Personen für die Pionierrolle verantwortlich sind. Im Bereich Erneuerung von Wohnbauten auf Stadtgebiet Zürich weist die Minergie-Datenbank vor allem Objekte mit Bezug zur Stadt Zürich, einzelnen Baugenossenschaften und den Büros Viridén und Partner respektive Beat Kämpfen auf – erst in neuerer Zeit kommen weitere AkteurInnen dazu. Aus dieser Sicht ist eher Respekt vor der Herausforderung angesichts umfassender Erfahrungen mit bereits ausgeführten Beispielen als Skepsis, wenn Experten wie Heinrich Gugerli die Euphorie der Pilotobjekte-Fachleute nicht einfach laut applaudierend in den Jubelchor einstimmen.

Für die Politik heisst dies eigentlich: um dem Experimentalcharakter neuer Lösungen Rechnung zu tragen, ist statt zwingender Vorgaben für energieautarker Gebäude besser eine Entwicklungsklausel vorzusehen, die mit entweder materiellen oder inhaltlichen Anreizen deutlich bessere Lösungen belohnt. Gleichzeitig ist dafür zu sorgen, dass der Unterschied zwischen von Gesetz zugelassenen Lösungen und den Spitzenprojekten kleiner wird – als Gesetzgeber hätte es gerade der Zürcher Kantonsrat in der Hand, die gesetzlichen Anforderungen an Neu- und Erneuerungsprojekte schnell und deutlich an die zukünftigen Erfordernisse anzupassen.

Zu diskutieren ist zusätzlich die Frage, ob Energieautarkie eine sinnvolle Anforderung an ein Gebäude ist oder ob es nicht auch möglich und zweckmässig ist, einen Teil der für das Gebäude benötigten Energien über z.B. das Stromnetz zu beziehen und durch langfristige Bezugszusicherungen zu gewährleisten, dass die erforderlichen Energiemengen auf menschen- und umweltverträgliche Art aus erneuerbaren Energien bereitgestellt werden.