Denkmalschutz – zum Beispiel Kongresshaus Zürich

Haefeli/Moser/Steiger, Auflockerung der klassischen, strengen Moderne, moderne Strenge, gemässigte, verspielte, schweizerische Form der Moderne, gebogene Geländer, Holzraster an Emporen, geschwungene Treppen, ornamentale Lampen, Haefeli-Locken, Bodenplatten, vom strengen Quadrat zu floralen Mustern wechselnd, zwei Foyers, die die „alte“ Tonhalle und das „neue“ Kongresshaus miteinander verweben, getrennt unten durch eine gläserne Schiebtür mit Holzraster, oben auf der Galerie durch ein Gewächshaus. Diese Beschreibungen der architektonischen Qualitäten des Zürcher Kongresshauses stammen von Bededikt Loderer, Architekturkritiker, „Hochparterre“-Redaktor. Und er fährt in seiner Beurteilung fort: „Das Kongresshaus ist Spitzenarchitektur von nationaler Bedeutung. Sein Abbruch ist nicht verhandelbar.“ (aus einem Beitrag im Tages-Anzeiger vom 13. Februar 2007).

Sind die unbestreitbaren Qualitäten, die kulturellen und historischen Werte eines solchen Gebäudes ein ausreichender Grund, ein Gebäude wie das Kongresshaus zu erhalten? Bei allem Respekt sowohl vor den Architekten als auch Benedikt Loderer: ich meine nein!

Die Erde ist ein begrenzter Raum. Es liegt auf Dauer nicht drin, in den Städten Bauzeugen aus unzähligen kunsthistorisch bedeutsamen Epochen unzählige Zeitzeugen aus Jahrtausenden zu erhalten. Dies ist nicht ein Plädoyer für das unkritische „Wegwerfen“ von Zeitzeugen. Bauten haben eine Lebensdauer, entsprechen den Ansprüchen ihrer Bestellerinnen und Besteller. Diese Lebensdauer ist bei Kirchen und anderen Monumentalbauten sicher anders anzusetzen als zum Beispiel bei Wohnhäusern. Ein Kongresshaus ist mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Bau mit einer relativ kurzen Lebensdauer, weil sich die Bräuche rund um Kongresszentren doch sehr schnell ändern. Die aktuelle Form von stark audivisuell orientierten Präsentationen erfordert andere Räumlichkeiten als die ausschliesslich oralen Vorträge früherer Zeiten. Selbst Herr Loderer bestreitet die Notwendigkeit eines neuen Kongresszentrums nicht (und er hat sogar Recht, dass es in Zürich andere, sogar bessere Standorte für ein solches Kongresszentrum gibt). Welche Funktion hat dann aber das alte Kongresszentrum? Und liegt es drin, einen Bau ausschliesslich wegen seiner kunsthistorischen Bedeutung ohne Funktion zu erhalten? Wird ein solcher Bau in zweitausend Jahren als Ruine von grossem historischem Wert von TouristInnen besucht, ähnlich wie heute die Ruinen aus der Zeit der Römer, zum Beispiel in Rom?

Bauten sind stellvertretend für ihre Zeit – die Ruinen in Rom erinnern an die rücksichtslose Verhaltensweise der damaligen Herrenmenschen, die für eine dauerhafte und durchaus nicht nur vorteilhafte Veränderung der Landschaft um Rom gesorgt haben. Doch wer sieht diese Konsequenzen bei der staunenden Betrachtung der Erbstücke dieser Zeit? Letztlich erinnert auch das Kongresshaus an eine Zeitepoche, die den zweiten Weltkrieg ermöglicht hat. Trotz baulichen Zeitzeugen ist das Lernen aus der Geschichte nicht garantiert.

Nochmals, das Kongresshaus ist unbestreitbar ein Kunstwerk. Nur: auch heutige Architektinnen sind willens und in der Lage, künstlerisch wertvolle Bauten zu schaffen – die schon fast zwangsweise Erhaltung von historischer Bausubstanz disqualifiziert das aktuelle Bauen! Das Nein zu neuen Bauten als Ersatz von Zeitzeugen ist möglicherweise zuerst ein Nein zu den Abläufen rund um Neubauten. Gerade an solchen Standorten ist ein intensiver Diskurs breiter Gesellschaftskreise erforderlich – aber nicht nur der Baulobby und der BauhistorikerInnen, sondern der NutzerInnen und Nutzer der städtischen Räume. Dieser Diskurs findet leider nicht oder viel zu wenig statt. – In diesem Sinne ist das Festhalten am heutigen Kongresshaus auch ein Nein zum vorgeschlagenen Planungs- und Bauprozess, eigentlich der einzige ernsthafte Grund gegen ein solches Bauvorhaben!

Auch wenn nicht alle Neubauten die Herausforderungen der Klimaänderung bereits respektieren: tendentiell sind bestehende Bauten Energieschleudern, die kaum auf den Stand von zukunftsfähigen Bauten gebracht werden können. Neue Bauten können zum Beispiel auf den Verbrauchslevel des Minergie-P-Labels gebracht werden – selbst unter Berücksichtigung der grauen Energie für die Baustoffe ist dies die ökologisch bessere Lösung als eine Sanierung nach Minergie-Standard!

Daraus folgt: die denkmalschützerischen Aspekte sind bloss ein Element beim Entscheid über Abbruch oder Erhaltung von Bauten mit einer gewissen kulturhistorischen Bedeutung. Im übrigen wäre es eine armselige Gesellschaft, die sich nur dank Bauten an die Werte der Vergangenheit erinnert – Werte, auch kulturelle, braucht es in der Gegenwart, die Schönheit kann und darf sich nicht nur an der Vergangenheit orientieren.

Aber ebenso: neue Vorhaben müssen erst beweisen, dass die sowohl von der Ausprägung als auch von den Prozessen her in einer Gesamtsicht mindestens gleichwertig sind wie der zu ersetzende Bau!