Blackout und Mineralwasser ohne Gas

Der Chef der Armee André Blattmann hat in einem Interview das Kalter-Krieg-Reizwort „Notvorrat“ verwendet und durch die Schilderung seines privaten Notvorrats – 30 bis 40 Sechserpackungen Mineralwasser ohne Gas, einige Konservenbüchsen, eine Wasserzisterne und ein Cheminée mit Holzvorrat – die Sache schon fast satirisch umgedeutet. Das Interview ist zwar offensichtliche Gripen-Propaganda, letztlich kommt aber ein diffuses Bedrohungsbild zum Vorschein, welches nicht klar unterscheidet zwischen den Risiken für unfähige PolitikerInnen und den Gefahren für Zivilgesellschaft und Wirtschaft.

Die Notwendigkeit des Notvorrats begründet Herrn Blattmann allerdings nicht mit der Gefahr von kriegerischen Angriffen – auch darum geht die Gripen-Propaganda in diesem Artikel völlig ins Leere. Cyber-Attacken und Stromnetz-Blackouts sind für ihn die grössten Bedrohungen.

„Blackout – Morgen ist es zu spät“ ist gemäss Wikipedia ein Techno-Thriller von Marc Elsberg aus dem Jahr 2012. Durch kriminelle oder gar terroristische Cyber-Attacken bricht in weiten Teilen von Europa und Nordamerika während fast zwei Wochen das Stromnetz zusammen. Da Strom ein „Rückgrat“-Element der gesellschaftlichen Versorgung ist, hat dies verheerende Auswirkungen – Marc Elsberg schreibt, dass diese Auswirkungen noch jahrzehntelang zu spüren sein würden.

In „Blackout“ wird dieser kontinentale Stromausfall bewusst herbeigeführt. Ob ein solches Stromausfallszenario realistisch ist, ist kaum beurteilbar, da dazu vertiefte Einblicke in höchst vertrauliche Unterlagen der Stromwirtschaft erforderlich wären. Es muss daher offen bleiben, ob die von Marc Elsberg dargelegten Eingriffsmöglichkeiten in die Stromversorgung realistisch oder fiktional sind. Da es bisher eher zu kurzzeitigen und flächenmässig beschränkten Stromausfällen kam, muss ebenso offen bleiben, wie Realität und Fiktion der Folgen eines langzeitigen und flächendeckenden Stromausfalls zu beurteilen wären. Zum Wasser-Notvorrat etwa ist auf der Internet-Seite der Wasserversorgung der Stadt Zürich folgende Aussage zu finden: Dank dem Höhenunterschied fliesst das Wasser von den Quellfassungen im freien Gefälle unter anderem zu den über 80 Notwasserbrunnen in der Stadt und ist somit unabhängig von der Stromversorgung.

Ich habe das Buch „Blackout“ von Marc Elsberg ebenfalls gelesen. Meine Reaktion ist eine ganze andere als die des Chefs der Armee, weil ich eine zivilgesellschaftliche Haltung einnehme: es ist alles daran zu setzen, dass ein solches Szenario nicht eintreten kann. Dazu gehört auch, dass zum Beispiel Atomkraftwerke, die bei einem längeren Ausfall der Stromversorgung potenziell GAU-verursachend sein können, so rasch als möglich stillzulegen sind, und dass der Energieverbrauch pro Person zu vermindern ist – „Blackout“ ist ein weiteres Argument für eine nuklear- und fossil-freie Energieversorgung, „Blackout“ ist somiz auch ein Argument für die zivilgesellschaftliche Energiepolitik von unten!

Die in „Blackout“ beschrieben kriminellen oder gar terroristischen Eingriffe in die Stromversorgung weisen in meiner Einschätzung erhebliche Verwandschaften mit Staatstrojanern und der „Abhör“-Tätigkeit von NSA auf. Begünstigt wird dies durch „Gläserner-Mensch„-Bemühungen etwa von Google, Facebook etc. Die von Staaten direkt oder indirekt geforderten „Hintereingänge“ etwa zum Internet begünstigen allfällige Blackout-Szenarien! Erschreckend an der in „Blackout“ beschriebenen Entwicklung nach den Stromausfällen ist der Wegfall jeglicher Solidarität, ist das Überhandnehmen des Ellbogismus, des Recht des Stärkeren.

Es ist empörend, dass Risikioüberlegungen nicht nur von Militärs offenbar bloss zu den beiden Denkpfaden Gripen oder Notvorrat führt. Wenn der Chef der Armee als einzige Reaktion auf Cyber-Attacken und Blackout-Risiken einzig den Notvorrat nennt, ist dies gesellschaftspolitisch verheerend, da der Chef der Armee damit ausdrückt, dass der Staat seiner Ansicht nach nicht in der Lage ist, solche Eingriffe zu verhindern oder zumindest einzugrenzen. Mit der Betonung des Notvorrats setzt der Chef der Armee ebenfalls auf die Entsolidarisierung, auf den Ellbogismus. Das ist ein Absage des Chefs der Armee an die Relevanz der Zivilgesellschaft – eine solche Haltung ist unakzeptabel! Da davon auszugehen ist, dass der Chef der Armee in einer solchen Bedrohungslage unter Mobilmachungsbedingungen einzurücken hat, ist darüber hinaus fraglich, welche Bedeutung der private Notvorrat haben sollte.

Im Übrigen: eine minimale Vorratshaltung von lebensnotwendigen Gütern ist durchaus zweckmässig, schon allein unter dem Aspekt der Gastfreundschaft. Die wenigstens Haushalte haben allerdings den Platz, 15 bis 20 Sechserpackungen Mineralwasser pro Person einlagern zu können; auch eine Wasserzisterne oder ein Cheminée liegen ausserhalb der Möglichkeiten des Durchschnittshaushaltes. Da es zudem nicht möglich ist, den in einer Wissensgesellschaft lebensnotwendigen Internet-Zugang als Notvorrat bereitzuhalten, ist der Notvorrats-Vorschlag von Herrn Blattmann nicht bloss sarkastisch, sondern geradezu zynisch.

Die zivilgesellschaftliche Forderung ist ganz einfach: die Politik hat dafür zu sorgen, dass eine Sicherheitsstrategie verfolgt wird, die ohne individuellen Notvorrat – von Nahrungsmitteln über die Gesundheitsvorsorge bis zum Internetzugang – auskommt!