Big Data und Manipulation – von der Mündigkeit von KonsumentInnen und BürgerInnen

Ein in diversen Aspekten postfaktischer Artikel zur Beeinflussung von Wahlen durch «Big Data»-Analysen hat Anfang Dezember 2016 für erheblichen Aufruhr gesorgt. Dass Wahlen und Abstimmungen manipuliert werden, ist nicht erst seit den Präsidentschafts-Wahlen oder den Schweizer Abstimmungen im Herbst 2016 zur Grünen Wirtschaft oder zum Atomausstieg offensichtlich.

Nicht nur in der Schweiz vertrauen weite Kreise der Politiklandschaft nicht die Kraft der Argumente. Mit erheblichen finanziellen Mitteln wird massiv Propaganda betrieben, und zwar in der Regel jenseits der Fakten. Rechtsnationale Kräfte sind da wesentlich finanzkräftiger als Links-Grüne-Gruppierungen – die Abstimmungsergebnisse können auch in der Schweiz als gekauft gelten. Das hat lange Tradition in diesem Lande – wir leiden beispielsweise nach wie vor unter einem absurden vorgeblichen Drei-Säulen-System zur Sicherung der Altersvorsorge. Es geht schon lange nicht mehr um objektivierbare Inhalte, sondern um die Durchsetzung der eigenen postfaktischen Scheinwirklichkeit. Politik kommt traditionsgemäss ohne kontinuierlichen Verbesserungsprozess aus.

«Für eine Million Franken mache ich aus jedem Kartoffelsack einen Bundesrat», soll schon vor langen Jahren einer der Senior-PR-Profis gesagt haben. Ebenso überliefert ist der Zusatz, dass eigentlich eine halbe Million reichen würde, nicht so klar sei aber, was genau weggelassen werden könne.

Wenn nun «Big Data» ebenfalls zu Meinungsbeeinflussung herangezogen werden kann, ist dies nicht überraschend, sondern eine Anpassung der PR-, Marketing- und Propaganda-Möglichkeiten an die derzeit genutzten digitalen Medien.

Der Gedanke, dass Persönlichkeitsprofile Trump zum Wahlsieg verholfen haben könnten, ist beängstigend. Doch Wahl- und Kaufentscheide treffen wir immer noch als mündige Bürger. Der Lead des Tages-Anzeiger-Artikels Was hinter der Angst vor Big Data steckt lenkt dabei allerdings von der Tatsache ab, dass PR, Marketing und Propaganda sowohl in der Politik als auch beim Konsum erhebliche Wirkung zeigen.

Auch wenn ich regelmässig in umweltnetz.ch Empfehlungen zum Ausfüllen der Abstimmungszettel veröffentliche: Bei vielen Abstimmungsfragen verlasse ich mich auf Parolenvorschläge von Parteien, denen ich weltanschaulich nahestehe. Mag sein, dass dies zur Mündigkeit zählt.

Ich lese vor Abstimmungen zusätzlich sehr viele Medienbeiträge. Bei Themen aus dem Umweltbereich, bei denen ich aufgrund meiner langjährigen beruflichen Beschäftigung eine erhebliche Expertise vorweisen kann, bin ich regelmässig entrüstet über die Faktenwidrigkeit von Medienbeiträgen – ziemlich übel ist dies bei Beiträgen, die als «Faktencheck» bezeichnet sind. Ich muss somit davon ausgehen, dass dieser Bullshit-Aspekt auch bei Themen, bei denen ich keine Expertise vorweisen kann, anzutreffen ist. Politische Mündigkeit hin oder her, wenn die Medien lügen, dient dies nicht der unabhängigen Meinungsbildung. Nicht ohne Grund haben derzeit Verschwörungstheorien aller Art Hochkonjunktur.

Als spezielles Thema: Mündigkeit bei Kaufentscheiden! Politik, Wirtschaft, Medien vermitteln den Eindruck, dass die Einwohnenden alles zu unternehmen haben, um das BIP zu fördern, nach dem Motto «neuer, grösser, schneller, schöner». Gleichzeitig ist bekannt, dass der derzeitige Umgang mit Ressourcen mit Sicherheit nicht nachhaltig ist. Illustrativ: Der gleiche Wochentag Ende November wird sowohl als «Black Friday» (Weihnachtseinkaufsrummeltag) als auch als «Buy Nothing Day» (konsumkritischer Aktionstag) bezeichnet. Worin besteht jetzt wohl die Mündigkeit? Vielleicht so: Bloss das kaufen, was wirklich nötig ist, egal an welchem Wochentag. Wie finde ich allerdings heraus, was wirklich nötig ist? Medien, Plakatwände und Fernsehwerbung taugen da definitiv nicht. Die Mündigkeit spricht dafür, sich an dem zu orientieren, was Umweltorganisationen zu bieten haben!

Übereinstimmender Gehalt postfaktischer Kampagnen ist, KonsumentInnen, BürgerInnen vorzugaukeln, sie hätten Ansprüche auf mehr, auf mehr Wohlstand, mehr Geld, mehr Konsum. Etwas plump ausgedrückt wird dabei suggeriert, Blocher oder Trump seien Milliardäre, und wer sich ihnen anschliesse, habe ebenfalls das Potenzial und das Recht, MilliardärIn zu werden. Objektiverweise wirken weder Blocher noch Trump besonders zufrieden. Somit bleibt offen, warum es erstrebenswert sein soll, diesen alten Männern nachzueifern. In Erinnerung an die frühere Wirtschafts-Nobelpreisträgerin Elinor Ostrom, welche sich für die Commons, die Allgemeingüter eingesetzt hat, gibt es nur eine plausible Verhaltensweise: Zukunftsfähig sind persönliche Interessen nur dann, wenn sie auch der Allgemeinheit dienen. Ein häufiges Merkmal postfaktischer Argumentationen ist demgegenüber die Priorisierung individueller und damit egoistischer Vorteile. Vergessen geht dabei neben Ostrom auch der kantsche Imperativ «Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.» vergessen. Dieser allgemeinen Regel der Ethik ist vermehrt Beachtung zu schenken, auch im Umgang mit Big Data, PR, Marketing und Propaganda. Letztlich geht es um gemeinsame Werte der Gesellschaft, idealerweise sogar der globalen Gesellschaft. Auch dazu kann und soll Big Data genutzt werden!


Auffällig ist auch die Wortwahl bei der Titelsetzung: «Ich habe nur gezeigt, dass es die Bombe gibt» lautet der Originaltitel des Artikels – «Auf die Bombe folgten die Explosionen» eine erste Reaktion der Autoren Mikael Krogerus und Hannes Grasseger. Die Unangemessenheit sowohl der Titelsetzung als auch der Inhalte zeigt sich, dass parallel dazu von diversen Bomben und Explosionen im wirklichen Sinn der Worte berichtet wird, mit einer grossen Zahl von getöteten Menschen.