Bauen statt Verkehrspolitik

Dass die Gotthard-NEAT bautechnisch zu realisieren ist, war schon zu Beginn der politischen Diskussionen über dieses Grossvorhaben klar. Trotzdem Gratulation zum Durchstich und viel Erfolg beim Innenausbau. Nur: verkehrspolitisch macht diese Parforce-Leistung je länger je weniger Sinn.

 
Regional, saisonal, vegi, bio: dies die Botschaften an Menschen, die sich klimaverträglich ernähren wollen. Verkehrspolitisch ist die Situation ebenso klar: WENIGER VERKEHR lautet die Devise. Eine neue Alpentransversale durch den Gotthard, selbst wenn es sich um ein Schienenangebot handelt, signalisiert das Gegenteil: ja, der Verkehr ist willkommen! Neue Strassen führen zu noch mehr Strassenverkehr, dies gilt in gleicher Art auch für den Schienenverkehr. Es ist zwar so, dass der Schienenverkehr deutlich umwelt- und menschenverträglicher als der MIEV ist, aber auch hier bleibt die Ausgangslage klar: nur weniger Verkehr ist zukunftsgerichtet! Leider werden Bahnprojekte, auch die NEAT, nur immer als Folge von Neubauten auf der Strassenseite in Angriff genommen.

Bei allem Respekt vor der Leistung der internationalen Bauwirtschaft und den vielen Menschen, die an der NEAT gebaut haben: Bauen ist eben nicht Verkehrspolitik. Nicht nur die Schweiz verwechselt allerdings Bauen mit Verkehrspolitik.

Was ist zu tun?

Zwingend ist Verkehrssparen. In der Schweiz deckt der Verkehr insgesamt, aber auch der Güterverkehr auf der Schiene die Kosten nicht. Dazu das Bundesamt für Raumentwicklung ARE am 14. Oktober 2010: Aufgrund der vorliegenden Ergebnisse ist für die kommenden Jahre davon auszugehen, dass der Schwerverkehr die von ihm verursachten externen Kosten nicht vollständig decken wird. Verkehr ist also alles andere als erstrebenswert – insbesondere der Güterverkehr ist deutlich zu vermindern. Gütertourismus, das Just-in-Time-Lager auf Strasse und Schiene, hat der Vergangenheit anzugehören.

Was auch in anderen Konsumbereichen gilt: es braucht endlich endlich eine stark lenkende, vollständig rückerstattete Energieabgabe – damit sich ökologisches Verhalten auch im Portemonnaie zeigt.

Jede zusätzliche Verkehrskapazität ist zwingend zu kompensieren – die NEAT erfordert, dass die alpenquerenden Autobahnen stillgelegt oder zumindest erheblich in ihrer Kapazität reduziert werden. Ein zweiter Autobahntunnel – die 5. Röhre – am Gotthard ist kategorisch abzulehnen. Den läppischen Forderungen von economiesuisse und TCS nach noch mehr Strassen ist durch alle Politikebenen eine deutliche Absage zu erteilen.

Da die Verkehrspolitik mehr ist als das Bauen neuer Verkehrsinfrastruktur, ist das historische und emotionale Ereignis des NEAT-Durchstichs unter Sedrun als Anlass zu nehmen, endlich eine Verkehrspolitik zu realisieren, die den Anforderungen an eine harte Nachhaltigkeit genügt, die auch einen Beitrag zur Minderung des Mensch gemachten Klimawandels leistet.


P.S. Ich habe vor langer Zeit Referendums-Unterschriften gegen die NEAT gesammelt. Auch wenn die Abstimmung vom 27.9.1992 mit einem Ja-Anteil von 63.6 % verloren ging: die damaligen Vorbehalte gegen dieses verkehrspolitisch unsinnige Vorhaben wurden mehr als bestätigt in dieser Zeit. Auch wenn die direkte Zugsfahrt von Zürich ins Wallis deutlich kürzer geworden ist, wenn dies bis in einigen Jahren auch von Zürich ins Tessin möglich wird: die Aussage „um die Mobilität zu erhalten, muss der Verkehr vermindert werden“ bleibt erhalten! Die ausschliessliche Fokussierung auf die bauliche Leistung anlässlich des Durchstichs am 15.10.2010 kommt einer Verabschiedung aus der Verkehrspolitik gleich.