Abbruch und Neubau von Wohnungen ist nachhaltig

Geiz ist geil – auch wenn unterdessen klar ist, dass insbesondere die übersteigerte Haltung „Gier“ sowohl ökonomisch wie ökologisch unverantwortlich ist, bleibt dieser Gedanke gerade im Wohnungsbau kräftig verankert. „Billige Wohnungen“ werden lautstark gefordert, beispielsweise in Zürich bei einem Sternmarsch am 14. Dezember 2009. Dabei wird übersehen: eine vorausschauende Wohnraumbewirtschaftung – und dazu gehört auch der Abbruch von (vermeintlich) billigen Wohnungen – ist eine nachhaltige Forderung!

Noch nie hat die Luxus-Gesellschaft Schweiz so günstig gewohnt wie heute, noch nie wurde pro Person so viel Wohnraum beansprucht wie heute! Dies hat auch damit zu tun, dass bei vielen Wohnbauten Substanzverzehr betrieben wird – die heute lebenden Menschen profitieren von dem, was die Vorfahren investiert haben, und überlassen den Nachkommen einen kaum mehr bewältigbaren Problemhaufen an Immobilien-Altlasten. Nicht nur Wohnbauten haben einige unangenehme Eigenschaften: sie nutzen sich ab, ihre Grundrisse und Infrastrukturangebote entsprechen nicht mehr den Bedürfnissen, der Schallschutz innerhalb und zwischen den Wohnungen entspricht nicht mehr den Nutzungsgewohnheiten. Eine zentrale Tatsache: jedes Gebäude hat eine endliche Nutzungsdauer, und diese liegt höchstens bei 100 Jahren, tendentiell eher tiefer! Auch im Bestand ist alle 40 Jahre, besser sogar alle 30 Jahre eine umfassende Erneurung angesagt. Man könnte zwar auch längere Nutzungszeiten anstreben, dies hätte wesentlich teurere Neubauten zur Folge und erfordert noch aufwändigere Zwischenerneuerungen. Ganz konkret: wird von einer sinnvollen Nutzungsdauer eines Neubaus von etwa 80 Jahren ausgegangen, müssen von den rund 200’000 Wohnungen in Zürich jährlich etwa 2’500 abgebrochen und durch Neubauten ersetzt werden. Zudem müssen jährlich rund 5’000 Wohnungen umfassend erneuert werden. Wird dies nicht getan, nimmt die jeweilige Generation ihre Verantwortung nicht wahr, verhält sich nicht nachhaltig, sondern profitiert übermässig von den Vorinvestitionen der Vorfahren und bürdet zukünftigen Generationen übermässige Lasten auf! Die aktuelle Wohnraumpolitik entscheidet darüber, ob es auch zukünftig günstige Wohnungen gibt. Im übrigen: Wohnungen mit tiefem Energieverbrauch lassen sich nur im Neubau oder mit einer umfassenden Erneuerung erreichen.

Das Leben in der Stadt ist vom Prinzip her ökologisch vorteilhafter als das Leben auf dem Land. EinE StadtbewohnerIn beansprucht im Mittel bereits heute weniger Wohnraum als einE LandbewohnerIn. Zudem wird die Infrastruktur (Wasser-, Strom-, ev. Erdgas-, ev. Fernwärme-Leitungen) kosteneffizienter genutzt. Auch haben StadtbewohnerInnen tendentiell weniger und kürzere Wege im Alltag zurückzulegen. Die Wohnraumpreise sind der eine Aspekt, der Bedarf nach weiteren Wohnung in der eigentlich gebauten Stadt eine eigentlich erwünschte Folge der ökologischen Stadtqualitäten.

Eine sinnvolle Wohnraumpolitik darf günstige, aber nicht billige Wohnungen fordern.

  • Der akute Sanierungsstau ist dringend anzugehen – es braucht viel mehr umfassende Erneuerungen, es braucht Ersatz-Neubauten (Rück- und Neubau)!
  • Da bei Genossenschaften nur eine Deckung der Selbstkosten, nicht aber eine Rendite für das risikotragende Kapital erforderlich ist, sind Genossenschaften auf Stadtgebiet kräftig zu fördern und zu fordern. Ein Viertel der Wohnungen in der Stadt Zürich wird derzeit von Genossenschaften bewirtschaftet – dieser Anteil muss deutlich erhöht werden (idealerweise von den grösseren Genossenschaften, diese zeigen in der Regel ein kompetenteres Bewirtschaftungsverhalten als Kleingenossenschaften).
  • Die Ausnutzungsreserven der Bau- und Zonenordnung sind so weit sinnvoll auszunutzen; insbesondere sind dabei die siedlungseigenen Grünräume zu erhalten, gar zu fördern – als Chance für die nahe Naherholung (Verminderung der Wege und Weglängen) – und eine Verkürzung der Distanzen zwischen Wohn- und Arbeisort. Diese innere Verdichtung ist so zu gestalten, dass nicht der Flächenanspruch pro Person, sondern die Zahl der Wohnungen erhöht wird.
  • Es ist eine intensive gesellschaftliche Diskussion über den Wohnraumanspruch pro Person zu führen – in der Tendenz muss der aktuelle Anspruch von rund 50 Quadratmeter pro Person möglichst rasch halbiert werden.
  • Damit dürfte die Zahl der in den Städten lebenden Menschen zunehmen – da die sogenannten „Kosten der Nähe“ deutlich tiefer sind als die „Kosten der Weite“, der breiartigen Besiedlung der Räume zwischen den Städten, ist die Raumplanung darauf auszurichten, die Städte zu fördern. Damit Städte die als hoch eingestufte Lebensqualität halten oder gar fördern können, ist grosse Sorgfalt auf die Entwicklung der des Lebensraumes Stadt zu legen.
    Wirklich dicht ist die Besiedlung auch der Städte nicht. Als schon fast amüsantes Beispiel: Zürcher S-Bahn, Fahrgastwechsel in Zürich HB. Wenn der Zug anhält, sammeln sich die Trauben der Einsteigewilligen um die Ausgänge, und verstopfen damit die Wege der Aussteigenden. Also: Urbanes Verhalten heisst „Abstand vom einfahrenden Zug“, die Höflichkeit schafft einen Willkommensraum für die Aussteigenden. Mit Sicherheit spart das urbane Einsteigeverhalten Zeit und Nerven.
  • Wie die statistischen Zahlen zeigen (zitiert z.B. hier), leben aufgrund der gesellschaftlichen Entwicklung sehr viele ältere Menschen in relativ grossen und damit eher unterbelegten Wohnungen. Hier sind kreative Formen zu suchen, um älteren Menschen möglichst lange das Leben in der Nähe ihrer etablierten sozialen Netze zu ermöglichen, z.B. Alters-WG, flexible Grundrisse mit addier- oder subtrahierbaren Räumen usw (auch deshalb sind Neubauten erforderlich – damit derartige flexible Nutzungsformen möglich sind).

Nein: billig soll und darf das Wohnen nicht sein – günstig und nachhaltig (in der starken Ausprägung) sehr gerne, auch wenn es etwas kostet!

Als weiterer Gedanke: noch nie war gemessen am Durchschnittseinkommen das Wohnen so günstig wie heute! Es bleibt also im durchschnittlichen Haushalt-Portemonnaie mehr Geld für andere Konsumzwecke übrig – und auch dieser Konsum führt wiederum zu höheren Umweltbelastungen. Unter anderem wird sehr viel Geld für Verkehr ausgegeben – nicht ohne Grund nehmen die Kilometerleistungen des privaten und öffentlichen Strassen- und Luftverkehrs (mit konjunkturellen Einbrüchen) kontinuierlich zu. Oder anders: haben wir wegen den Mobilitätskosten zu wenig Geld für die Finanzierung der Immobilien-Kosten?

Wie der ökologische Fussabdruck ausweist, beansprucht der/die durchschnittliche BewohnerIn der Schweiz ein Übermass vom Planeten Erde, dies trifft selbst für jene zu, die in diesem Land als arm gelten. Dies heisst: wir müssen bereit sein, für all das, was wir zum Leben wirklich brauchen – Dach über dem Kopf, Nahrung, Kleider, Ausbildung, Gesundheitsversorgung, … – trotz geringeren Ansprüchen mehr Geld auszugeben, und dafür die vielleicht etwas weniger grosszügigen „nice to have“ umso mehr zu geniessen!

Erste Fassung: 13. September 2009