2000-Watt-Gesellschaft: Wie schnell ist schnell genug?

Dass die 2000-Watt-Gesellschaft Zukunftspotential hat, ist immer mehr Menschen klar. Die deutliche Verminderung des Energieverbrauchs verbunden mit einer noch deutlicheren Verminderung des Ausstoss von Treibhausgasen fossilen Ursprungs (Brenn- und Treibstoffe wie Heizöl, Erdgas, Diesel, Benzin,…) ist eine zwingende Vorgabe. So schnell wie möglich selbstverständlich! Aber wie schnell ist schnell genug? Markus Kunz nimmt eine Medienkonferenz der ETH Zürich zur ESC-„Energiestrategie für die ETH Zürich“ zum Anlass, in der Wochenzeitung P.S. vom 20. März 2008 grüne Gedanken zur 2000-Watt-Gesellschaft zu äussern.

Markus Kunz ist Präsident Grüne Stadt Zürich und Professor am Institut für Nachhaltige Entwicklung an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Die Grünen Stadt Zürich haben die Volksinitiative „Umweltschutz konkret“ eingereicht, der Stadtrat schlägt als Alternative dazu einen Gegenvorschlag vor, welcher die Idee der 2000-Watt-Gesellschaft in der Gemeindeordnung der Stadt Zürich verankern möchte.

Markus Kunz lässt in seinen grünen Wochengedanken erkennen, dass eigentlich nur noch der zeitliche Fahrplan Ursache für inhaltliche Differenzen darstellt – eben die Frage „Wie schnell ist schnell genug?“. Das Jahr 2050 hat Markus Kunz im Blick, der Stadtrat hat nach Ansicht von Markus Kunz die Zielerreichung für das Jahr 2150 angekündigt. Diese 100 Jahre Differenz wirken auf den ersten Blick enorm – und scheinen die Empörung von Markus Kunz zu rechtfertigen. Allerdings nur auf den ersten Blick!

Ein Blick in die jüngere Geschichte zeigt die Zeitrelativität in der Politik. Am 3. Februar 2008 war in der Zeitung zu lesen, dass die Grünen der Stadt Zürich im Zusammenhang mit dem in der Sonntagspresse angekündigten Rücktritt von Monika Stocker von einer Zeitungsente sprachen. Bereits am 5. Februar 2008 gab es von den Grünen eine Medienmitteilung (Nachtrag 14.10.2014: Link gelöscht, im Internet der Grünen Stadt Zürich reicht das Medienmitteilungsarchiv nur bis Anfang 2009), bei der der Rücktritt von Monika Stocker bedauert wurde…

Die Politik hat ihre eigene Zeitrechnung, und jeder Zeitraum von mehr als vier Jahren (Zeit zwischen zwei Wahlen) ist in der Politik eigentlich gar nicht existent. Rein aus politischer Sicht ist diese Differenz zwischen 2050 und 2150 gar nicht vorhanden.

Inhaltlich scheint der Zeitpunkt 2050 angesichts der befürchteten dramatischen Auswirkungen des menschgemachten Klimawandels problemgerechter zu sein – der Zeitpunkt 2150 ist so weit ausserhalb des menschlichen Vorstellungsvermögens, dass Stirnrunzeln eine gewisse Berechtigung hat. Allerdings: um beide Entwicklungspfade einzuleiten, braucht es in den nächsten 10 Jahren Massnahmen, die weit über das hinausgehen, was in den letzten 20 Jahren an Energie- und Klimaschutzpolitik umgesetzt wurde! Wenn Markus Kunz und ich in Pension gehen, werden wir bereits eine statistisch gesicherte Verminderung des Energieverbrauchs pro Person um einige wenige Prozent als Erfolg unserer Bemühungen bezeichnen können! Den Unterschied des Pfades auf 2050 oder 2150 hin wird in etwas mehr als 12 Jahren statistisch nicht nachweisbar sein! Bis 2050 werden aber mindestens 10 Wahlzyklen von Stadtrat und Gemeinderat stattfinden – jede davon mit der Möglichkeit einer völligen Neubewertung aller Werte. In diesem Zeitraum dürfte auch die mittlere Lebensdauer eines Artikels der Gemeindeordnung erreicht werden. Das Erreichen einer nachhaltigen Energieversorgung und die Sicherstellung, dass die menschgemachten Auswirkungen auf das globale Klima die Ueberlebensfähigkeiten des Planeten Erde nicht in Frage stellen, ist eine Mehrgenerationenaufgabe – der Normalbetrieb der nachhaltigen Energieversorgung ist zukünftige Daueraufgabe der Menschheit. Bei allem Respekt vor der Ernsthaftigkeit des Anliegens von Markus Kunz: es hat auch mit Nachhaltigkeit zu tun, dass jede Generation jene Aufgaben bewältigt, die sie zu lösen imstande ist – im vollen Vertrauen darauf, dass auch zukünftige Generationen ihre Verantwortung wahrnehmen.

Für „unsere Zeit“ heisst dies: dafür sorgen, dass sich die aktuelle 6’300-Watt-Gesellschaft glaubwürdig auf den Weg Richtung 2000-Watt-Gesellschaft macht. Dabei ist es nicht entscheidend, ob als langfristiges Ziel das Jahr 2050 oder das Jahr 2150 auf dem Wandervorschlag steht: es wird auf jeden Fall eine ganze Reihe von Erholungspausen, Aussichtspunkten, Wegweisern usw erfordern, um die ambitiösen Wegmarken zu erreichen! 2050 oder 2150 – angesichts der Herausforderungen hat diese Debatte durchaus den Charakter einer Sackgasse. Machen wir uns fit für die erste Wegetappe, beispielsweise bis 2020, und lassen uns von den immer wieder vorhandenen kleinen und grösseren Erfolgserlebnissen dazu motivieren, immer ein bisschen schneller zu sein als die „Marschzeitvorgabe“! Und dies im Wissen, dass auch zukünftig regelmässig frische Kräfte und neue Ideen – sowohl bezüglich Effizienz- als auch Suffizienz-Massnahmen – dazu beitragen werden, dass der Weg zur 2000-Watt-Gesellschaft gangbar ist!

Aus 2kwblog.umweltnetz.ch